Geben Sie mir ein Ping, Vasili!

Sind Gleichgesinnte unter sich, so reden sie häufig von genau jenem Gleichen, nach dem ihnen der Sinn steht. Die geneigte Leserschaft kennt das: Hundefreunde reden von Hunden, Malfreunde von der Malerei und Filmfreunde – in Weiterführung dieser Logik – von Filmen. Dennoch stelle ich hier und jetzt die These auf, dass Letztgenannte mit einem kleinen Heiterkeitsvorsprung beschenkt sind, der sie um eine Spur leichter durchs Leben wandeln lässt.

Der Grund dafür: Ein Gemälde bleibt per Definition wortlos. Es steht nicht zu erwarten, dass die honorigen Bischöfe, die viele Wände in der Alten Residenz in Salzburg zieren, in den nächsten Jahren zum Leben erwachen und aus ihren Rahmen steigen. Somit bleibt auch das Gespräch im Rahmen – über sie und über die Kunst. Bei Hunden ist die Sache diffiziler, denn fraglos ist es möglich, mit ihnen zu reden. Was zurückkommt, kann mit viel Phantasie und Kenntnis in nonverbaler Tier-Mensch-Kommunikation sogar als Antwort interpretiert werden, doch das erste wörtliche Zitat eines Vierbeiners ist noch nicht überliefert.

Filmfreunde aber reden nicht nur über Filme. Sie haben eine eigene Form der Sprache entwickelt, die sich nur Eingeweihten offenbart, nach jahrelangem, intensivem Studium zahlloser Beispiele, vom Klassiker bis zum Schund. Allein wer durch diese harte Schule gegangen ist, bringt es zum Meister in der Königsdisziplin: der Unterhaltung in Filmzitaten.

„Ich schau dir in die Augen, Kleines.“ Wo das hingehört, muss ich hoffentlich niemandem erklären. Viele sehnsuchtsvolle Liebeserklärungen sind nach dieser Herzensoffenbarung wohl den Bach hinuntergegangen. Sohin ist es von großer Bedeutung, ein Zitat im richtigen Moment anzubringen. Im besten Fall erntet man Bewunderung oder sogar die unerwartete - weil passende - Antwort eines Eingeweihten. Die verwirrten Blicke der Unwissenden dienen im schlechtesten Fall der eigenen Erheiterung.

Neulich erhielt meine Kollegin Claudia am Platz gegenüber eine SMS auf ihr Handy. Der Ton, mit dem die Nachricht als eingegangen vermerkt wurde, war ein helles, reines PING, was mich laut auflachen ließ. Claudia schaute mich fragend an, also verwertete ich die Vorlage: „Geben Sie mir ein Ping, Vasili.“

Der Kollegin Verwirrung war augenscheinlich. Deshalb verzichtete ich auf die klassische Fortsetzung, musste sie aber zeitnah anbringen, um mich zu erfreuen. Wozu hat man Filmfreunde? Ich rief Alexander an, einen wahren Meister der Filmzitate, mir selbst haushoch überlegen. In kurzen Worten schilderte ich ihm die SMS-Szene von vorhin und schloss wieder mit den Worten: „Geben Sie mir ein Ping, Vasili.“

Und Alexander enttäuschte mich nicht: „Aber bitte nur ein einziges Ping!“ Unser doppelter Lachanfall eine Sekunde später war für mich das absolute Highlight des Tages.

Mein Lieblingszitat? Ich verrate es Ihnen. Der Gedanke daran ist wie ein Zwanzig-Sekunden-Urlaub, den ich mir hin und wieder von ganzem Herzen gönne.

„Es war einmal, an der Nordküste von Long Island, nicht weit von New York. Dort stand ein sehr, sehr großes Haus – beinah ein Schloss. Auf diesem Anwesen lebte ein kleines Mädchen. Das Leben war angenehm dort und wunderbar einfach.“

Kennen Sie den Titel dieser Liebeskomödie? Meine immerwährende Hochachtung wird Ihnen gewiss sein. Falls nicht, muss ich sofort Alexander anrufen!

Offizielle Protestnote Seiner Exzellenz, des Botschafters

An die Einbrecher von Riegersburg!

Mit aller gebotenen Schärfe protestiert der Kernölbotschafter gegen die Vorgehensweise, mit der Sie die Spuren Ihres letzten Raubzuges verwischt haben. Wie den am Botschaftssitz gelesenen Salzburger Nachrichten vom 21.4.2015 auf Seite 11 zu entnehmen ist, haben Sie in einem Hotel fünf Liter Kürbiskernöl verschüttet, um Fingerabdrücke und sonstige Spuren für die Kriminalpolizei unbrauchbar zu machen.

Um es in der Gemeinsprache zu formulieren, die vielleicht auch Sie verstehen: Das geht gar nicht! Abgesehen vom angerichteten Schaden empfinde ich es als unerträglich, wie perfide Sie durch Ihre Tat meine nun schon Jahrzehnte andauernden Bemühungen torpedieren, unserem kulinarischem Kulturgut jenseits der Kernölgrenzen zu dem ihm zustehenden Durchbruch zu verhelfen. Ich halte täglich die Fahne unseres Schwarzen Goldes hoch, indem ich es nicht nur für Salat, sondern auch für die klassische Eierspeis wie für moderne Eiskreationen in höchsten Tönen anpreise. Und was bekommen die Leute jetzt mit? Wie schwer die Schmierage wegzuputzen ist, kruzzetürken!

Mit einem Fünkchen Anstand in Ihren verrotteten Seelen hätten Sie das Kernöl, dem Vernehmen nach durchaus hochwertige Ware, mitgenommen und verkauft. Bestimmt liegt der Wert höher als die paar erbeuteten Zigaretten. Und wer weiß, wie viel Bares Sie in dem aus der Verankerung gerissenen Tresor finden – falls Sie ihn überhaupt aufkriegen. Sie hätten das Öl auch anonym vor einer Kirche oder Armenküche deponieren und so einer sinnvollen Verwendung zuführen können.

Kürbiskernöl klebt an Ihren Händen. Den Geruch, so edel er aus einer frisch geöffneten Flasche in die Nase desjenigen steigt, der diesen Luxus zu schätzen weiß, werden Sie nicht mehr aus Ihrem schwarzen Herzen bekommen. Ebensowenig die Flecken von Ihren Kleidern.

Seien Sie gewiss: Der Kernölbotschafter wird nicht ruhen, bis der immaterielle Schaden an seiner Mission gesühnt und der Ruf des echten steirischen Kürbiskernöls wieder reingewaschen ist.

Gezeichnet von Seiner Exzellenz Hannes dem I., Salzburg, April 2015, A.D.

        

Sensation: Putin im Gemeinderat!

Am Karsamstag sitzt die ganze Familie nach Monaten wieder einmal vereint in der Heimat beisammen. Nicht nur der feine Osterschinken wird genüsslich verzehrt, es gibt auch einen regen Austausch wichtiger Neuigkeiten. Nach Dutzenden gepeckten Eiern kommt die Rede auf die kürzlich in der Steiermark geschlagene Gemeinderatswahl. Hier die unvollständige Wiedergabe einer Unterhaltung, deren weltpolitische Bedeutsamkeit wohl erst in vielen Jahren von Historikern ins wahre Licht gerückt werden wird.

"Wie ist es in Bad Gleichenberg ausgegangen?"

"Klarer ÖVP-Sieg. Sie haben die Absolute nur um vier Stimmen verpasst."

"Der Putin soll zuletzt auch in Gleichenberg gewesen sein."

"Wegen der Wahl?"

"Nein, zum Jagen. Der Wolf hat ihn eingeladen."

"Seit wann lädt der Wolf seinen Jäger ein, bevor er von ihm erschossen wird?"

"Nicht der schwarze Wolf. Der Siegfried Wolf."

"Aber der Siegfried Wolf ist doch eh bei den Schwarzen."

"Ich rede vom Tier, nicht von den Schwarzen im Gemeinderat."

"Die Schwarzen haben Putin in den Gemeinderat eingeladen? Wen soll er dort jagen?"

"In Gleichenberg gibt's schon lange keinen Wolf mehr."

"Nicht in Gleichenberg. In Trautmannsdorf."

"In der Nachbargemeinde gibt's noch Wölfe?"

"Nein, der Putin war in Trautmannsdorf."

"Weil dort ein Wolf gesichtet wurde?"

"Nein, weil er zum Jagen eingeladen war. Von Siegfried Wolf, einem persönlichen Freund."

"Nach der Gemeindereform gehört Trautmannsdorf jetzt zu Gleichenberg, oder?"

"Richtig."

"Also kommt man über Trautmannsdorf in den Gemeinderat von Gleichenberg."

"Wenn man das will."

"Vielleicht will der Putin das und war deshalb in Trautmannsdorf. Auf der Jagd nach einem Mandat."

"Was der Putin will, ist mir herzlich egal. Wer will eine Ostertorte?"

Allgemeine Zustimmung ertönt. Das Thema löst sich in Kaffee- und Mehlspeisduft so rasch und geheimnisvoll auf, wie es gekommen war.

Einen Tag später, am Ostersonntag, bringt die Krone bunt auf Seite 14 einen Bericht über das neue Luxusflugzeug von Wladimir Putin. Die Kernölbotschafter-Redaktion weiß aus Insiderkreisen, dass der hypermoderne Flieger gerade rechtzeitig für die Anreise zur konstituierenden Sitzung des Bad Gleichenberger Gemeinderates fertiggestellt wurde. Der Auftritt des russischen Präsidenten dort wird in vielen Familien zu interessanten Diskussionen führen. Mit und ohne Wolf.

Think Before You Think

Im geschäftlichen Mailverkehr ist es Mode geworden, am Ende eines elektronischen Briefes nicht mehr nur den Disclaimer anzuführen. So nennt sich ein Rechtehinweis, der falsche Empfänger vor missbräuchlicher Verwendung einer nicht für sie gedachten Nachricht warnen soll ("bitte nicht auf Facebook stellen und vor einer allfälligen Weiterleitung an die NSA zumindest Edward Snowden informieren").

Neuerdings glauben viele Konzerne, ihre grüne Verantwortung betonen zu müssen. Deshalb fügen sie am Ende eines Mails den Satz "Think before you print" hinzu. Im Business-Englisch klingt das natürlich besser als "Denk bevor du druckst", was sich ein bisschen wie die Aufforderung des Dorflehrers an den Klassentrottel anhört. Der geneigte Empfänger möge also kurz in sich gehen, bevor er die Mail ausdruckt. Vielleicht reicht es, sie elektronisch zu archivieren? Oder ist gleich Löschen die beste Option? Nach Abschluss des Denkprozesses, so suggeriert der Hinweis, habe der Empfänger selbstverständlich alle Freiheiten, nach seinem Gutdünken zu handeln.

Das Ansinnen mag durchaus ehrenwert sein, doch wie die Kernölbotschafter-Redaktion schon bei ähnlichen Aktionen feststellen musste, torpediert auch hier die mangelnde Ausführung den guten Willen. Eine österreichische Supermarktkette, die passenderweise ein grünes Bäumchen im Logo führt, beendet alle Mails mit jenem "Think before you print". So auch Bestellungen, die ich im Zuge meiner Profession als Verkäufer von Schlüsseln und Zylindern aus der Konzernzentrale erhalte. Die Mails strotzen nur so vor Leerzeilen zwischen dem Text, dass sie sich über zwei, drei und manchmal sogar vier Seiten hinziehen. "Denk nach, bevor du das ausdruckst", klingt als erhobener Zeigefinger sohin wie blanker Zynismus, dem ich mehr als einmal die Gegenfrage "Warum sollte ich, wenn du nicht einmal vor dem Schreiben nachgedacht hast?" volley retournieren wollte.

Den Vogel – oder besser den Storch – schoss in dieser Kategorie kürzlich ein Hotel am Neusiedlersee ab. Dessen Mailbestellung zog sich allein deshalb über zwei Seiten, weil am Ende lang und breit verkündet wurde: "Wir sind Gewinner des Goldenen Flipcharts 2011 – bestes Seminarhotel im Burgenland!" Die Darstellung der Trophäe durfte ebenso wenig fehlen wie die wortreiche Aufforderung, sich von den diesbezüglichen Qualitäten des Hauses doch bitte persönlich zu überzeugen.

Werbung ist wichtig, keine Frage. Wenn jedoch goldene Kochlöffel, Stamperl und Flipcharts als Aufmerksamkeitsvehikel wie goldene Schwammerl aus dem Boden sprießen, muss die Frage erlaubt sein, ob die zuständigen Marketingabteilungen überhaupt von der Blässe eines Gedankens angekränkelt wurden, ehe solch krude Ideen das Licht der Welt erblickten.

Als Chronist dieser und aller anderen Lebenskuriositäten, die mir noch begegnen werden, schließe ich diesmal selbst mit einer Aufforderung an alle, die voll Begeisterung über einen guten Einfall sogleich zur guten Tat schreiten wollen. Kurz und bündig, damit sich dieser Blog beim Ausdruck nicht über zwei Seiten zieht.

"Think before you think!"

Helmut, Hüter der Moral

Vermutlich bin ich der einzige Steirer, der in Salzburg lebt und bereits von zwei Vorarlberger Physiotherapeutinnen betreut wurde. Birgitt arbeitete vor einigen Jahren nahe der Mozartstadt, Judith lernte ich bei einem Aufenthalt in einer Spezialpraxis nahe Freiburg im Breisgau kennen. Beide Damen leben mittlerweile wieder im Ländle; Judith besuche ich immer noch jährlich für eine intensive Trainingswoche, und meist geht sich dabei auch ein gemeinsamer Kaffee mit Birgitt aus.

Für die Dauer meines Aufenthalts in Bregenz quartiere ich mich stets im Gasthof Lamm ein. Das kleine, gemütliche Landhotel mit ausgezeichneter Küche liegt sowohl in der Nähe von Judiths Praxis als auch unweit vom Bodensee; weil ich meine täglichen Therapieeinheiten immer mit einem Spaziergang entlang des Ufers abschließe, eine perfekte Kombination. Mittlerweile darf ich mich Stammgast nennen, der sowohl von der Eigentümerfamilie Schenk als auch den Beschäftigten des Hauses sehr herzlich aufgenommen und bestens betreut wird.

Gleich nach meiner allerersten Ankunft an einem Sonntag im Frühling 2012 lud ich Judith zu einem gemeinsamen Abendessen im Lamm ein. Sie sagte zu, und bald saßen wir an einem kleinen Tisch im Restaurant. Am Stammtisch gegenüber saß Seniorchef Helmut, ein rundlicher Mann mit dröhnender Stimme, Almöhi-Vollbart und stets fröhlich blitzenden Augen. Diesen Augen entging nichts, wie ich bald erfahren sollte.

 Die Woche verging rasch wie alle Wochen in Deutschland zuvor. Wenn der Fokus auf Trainieren liegt, bleibt neben Essen und Schlafen kein Platz übrig. Entsprechend schnell war der Freitag da, und ich verabschiedete mich aus Judiths Praxis bis zum nächsten Jahr. Wieder konnte ich ein paar kleine Fortschritte verbuchen, über die ich mich ebenso freute wie über ein Treffen mit Birgitt, die ich zu meinem letzten Frühstück ins Hotel eingeladen hatte.

Kaum hatte die zierliche Frau am folgenden Morgen neben mir Platz genommen und ihren Kaffee bestellt, bemerkte uns Seniorchef Helmut vom Stammtisch aus. Er hob grüßend den Arm, dröhnte ein "Guten Morgen!" und hielt dann inne, um genauer hinzuschauen. Was er sah, irritierte ihn augenscheinlich so sehr, dass er der Sachlage sogleich auf den Grund gehen musste. Helmut kam an unseren Tisch, beugte sich zu Birgitt und sagte mit einer Stimme, die in der fragwürdigen Mitte zwischen Verschlagenheit und Flüstern lag: "Sie sind aber nicht die Gleiche wie am Sonntag."

Mein Gehirn verwandelte sich von einer Sekunde auf die nächste in eine wortfreie Zone, so perplex war ich. Nicht einmal das naheliegende "Ich wüsste nicht, was Sie das angeht", fiel mir ein. Birgitt aber hatte einen unfehlbaren Sinn für die Situation. Sie strahlte Helmut mit dem süßesten Lächeln an und erwiderte: "Ich bin die andere Physiotherapeutin von Herrn Glanz." Diese Antwort schien für den alten Mann nachvollziehbar; er wünschte Birgitt einen guten Appetit und ging wieder an seinen Platz zurück.

 Als ich mich später von Helmut verabschiedete, konnte ich mir eine Frage beim besten Willen nicht verkneifen: "Haben Sie schon früher einmal jemanden so direkt angeredet wie vorher? Das könnte doch peinlich enden, oder?"

"Ist eh schon passiert", antwortete er mit einem verschmitzten Lachen. An seinen Augen sah ich, dass es der Spaß in jedem Fall wert gewesen sein musste.

Auf meiner Heimfahrt zog ich in Gedanken meinen Hut vor diesem wahren Hüter der Moral. Wer austeilt, muss auch einstecken können – Helmut weiß das.

Mimi und Doktor Frankenstein retten Salzburg und die Welt

Während ganz Salzburg aufatmet, weil Mimi gerettet wurde, hält der Kernölbotschafter den Atem an, weil die Weltrettung nur noch schlappe zwei Jahre entfernt ist. Genug Neuigkeiten für eine Woche, doch am Ende folgt noch eine dritte, versprochen.

Mimi, bislang eine glückliche und wenig beachtete Graugans am Leopoldskroner Weiher, hatte sich vor zwei Wochen mit ihrem Schnabel in einer silberblauen Getränkedose verkeilt. Dies behinderte sie beim Fressen und beim Fliegen – von wegen RedBull verleiht Flügel –, erhöhte jedoch so schlagartig wie ungewollt ihre Prominenz in der Bevölkerung. Viele kamen, um zu schauen und zu bemitleiden, andere wollten helfen. Doch nicht einmal von angerückten Berufsfeuerwehrleuten mit viel Energydrink intus ließ sich Mimi einfangen. Erst zwei Tierpflegern gelang dieses Kunststück; sie befreiten die Gans von ihrem ungewollten Ballast und päppeln sie jetzt im Salzburger Zoo auf. Das ganze Bundesland ist erleichtert und wieder bereit, sich weniger wichtigen Dingen zuzuwenden - etwa der Frage, in welchem Interview Mimi den Journalisten vom ORF Salzburg ihren Namen verraten hat. Fast wünscht man sich alle vierzehn Tage ein solches Drama. Dann würde sich niemand mehr für die stark zunehmende Abwanderung aus dem Innergebirg, die neuen peinlichen Fakten zum Finanzskandal und das endlose Verkehrschaos in der Landeshauptstadt interessieren.

Aber wie eingangs erwähnt, Rettung naht. Am 27.2.2015 war auf www.science.orf.at, dem Wissenschaftsportal unseres Staatsfunks, zu lesen, dass in spätestens zwei Jahren die erste Transplantation möglich sein wird, die wirklich Sinn macht: jene des Kopfes. Das behauptet jedenfalls der italienische Neurochirurg Sergio Canavero.

Halten wir an dieser Stelle gemeinsam kurz inne. Wenn der – zugegeben intensive – Moment des Ekels überwunden ist, eröffnen sich ungeahnte Aussichten. Diese gehen weit über die Vision des Arztes hinaus, nach der „Patienten, die unter schweren Krankheiten wie fortgeschrittenem Krebs leiden, einen neuen Körper erhalten sollen, um wieder normal leben zu können.“ Fein für alle, die es betrifft, aber es geht um mehr. Mit der Kopftransplantation steht die Schaffung des Weltfriedens nicht länger in den Sternen, sondern ist plötzlich greifbar nah.

Vielleicht stammt die Idee gar nicht von Canavero selbst. Gut vorstellbar, dass sein um nichts weniger umtriebiger Landsmann Silvio B. nach einem Weg gesucht hatte, sich mit seinem Dauergrinser in der italienischen Politik zu verewigen und während einer Bunga-Bunga-Pause auf  diesen abstrusen Einfall gekommen war. In der Zwischenzeit wurde der Ex-Cavaliere aber zu ein paar Monaten Sozialdienst verknackt. Ein jüngerer Körper brächte ihm also nur die Aussicht, flinker über die Gänge des Altersheims zu huschen, wo er zur Betreuung alter Männer – welch herrlicher Gegensatz zu seinen kaum volljährigen Haremsdamen – eingesetzt ist.

Trotzdem bieten sich genug andere Kandidaten an. Wladimir Putins Kopf könnte probeweise auf den Hals eines ostukrainischen Flüchtlingskindes versetzt werden – damit er spürt, wie sich die von ihm verbreitete Angst anfühlt. Börsenspekulanten auf Grundnahrungsmittel schlage ich ein paar Tage auf ausgemergelten afrikanischen Körpern vor, weil Mais und Weizen, falls überhaupt vorhanden, längst zu teuer geworden sind. Allen Konzernchefs, die das Projekt Biosprit abgesegnet haben, wird die gleiche Kur verordnet. Und wenn zu guter Letzt alle Kriegstreiber dieser Welt die Leiden der Opfer ihrer Autobomben, unbemannten Raketendrohnen und Granatsplitter zumindest so lange durchmachen müssen, bis sie die gröbsten Schmerzen überwunden und sich die dunkelsten Seelenfenster geschlossen haben, sind wir dem Weltfrieden einen großen Schritt näher gekommen. Also, lieber Doktor Frankenstein Canavero, bleiben Sie dran!

Neuigkeit Nummer drei verbindet die Schlagzeilen der Woche auf geniale Weise. Unterhalb der Meldung von Mimis Rettung (Titelseite des Lokalteils der Salzburger Nachrichten vom 28.2.2015) bietet die Firma Cutani ein „Facelift ohne OP“ zum Aktionspreis von 87,-- Euro an. Der Werbetext lautet: „Cutani Impulslicht wirkt dort, wo andere kosmetische Präparate nicht hinkommen.“

Wer sohin nicht zwei Jahre warten will, kann sich schon jetzt in Wals bei Salzburg erleuchten lassen. Angesichts der krassen Unterbelichtung vieler von mir genannter Individuen steht aber zu befürchten, dass nicht einmal reines Impulslicht da noch etwas ausrichten kann.

Verkehrsstrafe für intellektuelle

Neulich war ich zu einem Konzert von Mnozil Brass in der Nähe von Steyr eingeladen. Der Jänner hatte vor einer Woche dem Februar Platz gemacht, und sohin auch der Pflicht zum Aufkleben der diesjährigen Autobahnvignette, von den Designern in Azur getaucht. Tatsächlich ist es ein undefinierbares Mittelblau, das mit den Dressen der italienischen Squadra Azzurra, meiner Lieblingsfußballnationalmannschaft nach der eigenen, nichts gemein hat. Aber das wollte ich gar nicht erzählen.

Als kleinen Ausgleich für die mir unzumutbare Benützung öffentlicher Verkehrsmittel – so die behördensprachliche Umschreibung meines  fußmaroden Zustandes – erhalte ich die Vignette jedes Jahr kostenlos. Ein feiner Zug vom Sozialministerium, zumal es mich auch noch per Brief daran erinnert, sie zeitgerecht anzufordern. Ich faxe das unterschriebene Formular samt Zulassungsschein retour, und spätestens Mitte Jänner liegt das Pickerl in meinem Briefkasten. So auch in diesem Jahr.

Meine Vorfreude auf den Wochenendausflug, Kulturgenuss und Übernachtung inklusive, war groß. Das lästige Gedankenintermezzo beim Zusperren meiner Wohnung, ob ich den Herd ausgeschaltet hätte, verscheuchte ich daher mühelos mit „Du drehst ihn zum Frühstück doch gar nicht auf!“ Flugs die Tasche auf den Rücksitz geschmissen, und schon war ich unterwegs zur Autobahnauffahrt Salzburg Süd in Richtung Wien.

Alles an der Einladung, die ich einem alten Freund verdankte, war perfekt. Ich genoss die Unterbringung in dem feinen Stadthotel Mader, ein famoses Konzert und danach einen Drink in der Hotelbar, dessen Name Die Gurke nicht glücklich gewählt, dessen Geschmack jedoch superb ist. Beim Frühstück fragte ich mich, warum ein Tag im Büro nicht ebenso rasch vorbeiziehen kann wie die vergangenen Stunden. Wahrscheinlich deshalb, weil ich dort nur Wasser und Tee drinke.

War gestern der Himmel in ein trübes Schneegrau getaucht, so strahlte die Sonne bei der Heimfahrt von einem stahlbauen Himmel. Passend zum Wetter trugen mich die heitersten Gedanken und Erinnerungen über die Westautobahn gen Salzburg.

Als ich die zwei mausgrauen Busse der Asfinag am Ende der Autobahnausfahrt Salzburg Süd erkannte, fiel mein Blick auf die linke obere Ecke meiner Windschutzscheibe – und ich stellte mit heißem Entsetzen fest, dass dort Limettengelb prangte, nicht aber Azurblau. Still verwünschte ich alle Farben und alle Namen dafür, ärgerte mich aber am meisten über mich selbst. Da kriegst du die Vignette gratis, egal in welcher Farbe, und bist dann zu deppert, sie rechtzeitig aufzupicken.

Was folgte, darf ich bei allen österreichischen Autofahrern als bekannt voraussetzen. Ich wurde angehalten und freundlich gefragt, ob ich nicht wisse, dass ab 1. Februar … bla, bla, bla. Natürlich bejahte ich nickend und zückte als kleinen Ablenkungsversuch meinen §29b-Ausweis, verbunden mit dem Hinweis auf meinen Gratisanspruch zum Erhalt des Pickerls.

„Haben Sie es dabei?“, fragte der Mann. Sein Ton war noch immer freundlich, was mir die Hoffnung auf eine allerletzte Chance gab. Wenn ich das verdammte Ding in meine Tasche geschmissen hatte, bevor ich diese auf den Rücksitz – Gedankenblablabla, um meinen Ärger ein wenig zu drosseln –, würde ich vielleicht noch einmal völlig unverdienterweise davonkommen.

Bevor meine Suche in den vielen Abteilungen und Seitenfächern peinlich wurde und meine Wut auf mich dazu führte, dass ich alles einfach herausschüttelte, gab ich sie auf. Unfassbare 120 Euro wurden gegen eine Quittung getauscht („Die gilt jetzt für zwei Tage.“ – Super, vielen Dank!), und ich fuhr nach Hause, ungläubig darüber lachend, dass ich soeben die dämlichste aller Verkehrsstrafen kassiert hatte. Schnellfahren oder Falschparken kann doch jeder; bei mir musste es da schon intellektueller zugehen.

Sollte ich jemals wieder zweifeln, ob der Herd ausgeschaltet ist, gehe ich sofort nachschauen. Denn als ich meine Wohnküche betrat, sah ich auf dem Esstisch etwas Kleines, Rechteckiges. In Azurblau. Wirklich blöd, diese Farbnamen!

Sex-Empfehlungen, amtlich

Wie haben Sie den Valentinstag verbracht? Ich hoffe doch, in trauter Zweisamkeit. Vielleicht waren Sie mit ihrer/ihrem Liebsten in Fifty Shades of Grey und werden sich am Montag spontan freinehmen, um gemeinsam im Baumarkt das Angebot an Kabelbindern, Seilen und Klebebändern zu sichten. Diese Utensilien sollen ja, schenkt man den Meldungen der vergangenen Tage Glaube, eine besonders anregend-inspirierende Wirkung haben.

In Thailand hat man ganz andere Sorgen. Dort riefen das Gesundheitsministerium und das Amt zur Förderung der moralischen Werte (keine Erfindung des Chronisten, das gibt es wirklich!) dazu auf, den Feiertag für Verliebte nicht zum einvernehmlichen Beischlaf zu nutzen. Stattdessen sollten die Pärchen „etwas Schönes kochen oder einen Tempel besuchen.“ Grund seien die vielen ungewollten Teenager-Schwangerschaften und die steigende Anzahl von Geschlechtskrankheiten. Diese Meldung rauschte durch den weltweiten Medienwald und landete sohin auch in der Kernölbotschafter-Redaktion.

Wie so oft ist das Ansinnen ehrenwert, wenn es amtlich zugeht; die Mittel führen jedoch nicht immer zum gewünschten Ergebnis. In diesem Fall könnte der Schuss sogar geradewegs nach hinten losgehen: Die vorgeschlagenen Alternativen zum Sex am Valentinstag dünken bei genauerer Betrachtung noch anregender als das Angebot vonObi, Baumax und Hornbach zusammen.

Vor langer Zeit (das klingt ein bisschen weniger schlimm als das ehrliche „vor mehr als zwei Jahrzehnten“) saß ich mit einer von mir damals Angebeteten in einer leeren Kirche. Die halbschattige Stille um uns, ihr Parfüm, das wie in Stein gemeißelte Profil – alles empfand der Jüngling in hohem Maße anregend. Wenn ich damals nicht schon in die Guter-Freund-Falle getappt wäre … wer weiß, wohin uns der Weg nach dem Kirchenbesuch geführt hätte.

„Etwas Schönes kochen“: Von wem stammt dieser Vorschlag, bitteschön? Von einem asketischen Mönch mit Altersdemenz? Klar, wenn eine Schale ungesalzener Reis mit Grünem Tee den höchsten Genuss bedeutet und dazu die eigene Jugend längst vom Nebel des Vergessens verschluckt wurde, kann die Fantasie schon einen Knick bekommen. 99,9 Prozent der liebesfähigen Weltbevölkerung wissen hingegen, dass gemeinsames Kochen per Definition etwas Sinnliches und deshalb zur Koitusanbahnung überaus geeignet ist. Geschichten darüber, wie jemand vom anderen Geschlecht eingekocht wurde oder dieses selbst eingekocht hat, sind sowohl Legende als auch Legion. Wie soll man denn eine Stunde in einer kleinen Küche Schulter an Schulter stehen, eine weitere Stunde Schenkel an Schenkel sitzen und ein feines Valentinstagspapperl verspeisen, ohne dabei scharf wie eine Chilischote zu werden? Wer jetzt noch ein Aphrodisiakum braucht, der möge seinen Weg lieber in der Nachfolge des Mönchs suchen.

In gut neun Monaten wird die Welt wissen, ob die Anregungen des Amtes zur Förderung der moralischen Werte (ich musste es noch einmal anbringen!) gewirkt haben. Ich verdanke ihnen jedenfalls die Idee, einen Kochkurs zu machen. Mein mangelndes Können auf diesem Gebiet zwang mich bislang zu Restauranteinladungen, wo die Sache mit der Anbahnung noch nicht wirklich ideal gelaufen ist.

Vermutlich wegen der großen Küchen.

 

Fifty Shades of Gabalier

In der beliebten Reihe Die Wöd steht nimma laung bringt die Kernölbotschafter-Redaktion zwei Meldungen, die am 10.2.2015 auf der Homepage des rot-weiß-roten Staatsfunks zu lesen waren. Bei beiden handelt es sich unglücklicherweise nicht um einen vorgezogenen Faschingsscherz.

In der Rubrik Lifestyle: „Britische Baumärkte rechnen mit Fifty-Shades-Ansturm“

Eine britische Baumarktkette hält ihre Mitarbeiter dazu an, sich mit dem Inhalt der Soft-Sado-Maso-Bibel Fifty Shades of Grey – Geheimes Verlangen vertraut zu machen, um „sensible Fragen von Kunden auf höfliche, hilfreiche und respektvolle Art beantworten zu können.“ Grund ist der bevorstehende Kinostart der Romanverfilmung, welchem – dem Vernehmen nach – nicht nur Fans und Besitzer von Lichtspieltheatern entgegenhecheln. Auch Baumärkte haben vorgesorgt und größere Posten von Kabelbindern, Seilen und Klebeband angeschafft, weil „diese Produkte in einer besonderen Szene dafür gedacht seien, Herrn Greys unkonventionelle sexuelle Wünsche zu erfüllen.“

Also Obacht, liebe Frauen: Wenn euer aktueller Lebensabschnittspartner in den nächsten Tagen ohne ersichtlichen Grund den Einkauf übernimmt, dann aber statt eines Billa-Sackerls zwei prall gefüllte Tragtaschen vom Baumax nach Hause bringt, empfiehlt es sich, deren Inhalt genau zu prüfen. Oder zumindest spontan mit der besten Freundin auf ein, zwei Kaffetscherl zu gehen – klarerweise unter der Voraussetzung, dass sie den Film schon gesehen hat und/oder selbst im Baumarkt war.

Wie gesagt, kein Witz. Angesichts einer solch haarsträubenden Realität hilft nur die Flucht in Kindheitsträume. Doch was wartet in der Rubrik Leute?: „Gabalier singt Heidi-Hymne“

Jetzt wird auch noch diese sichere Festung aus Heidi, Wickie, Pinocchio und Biene Maja brutal zerstört. Und ich dachte schon, mit der peinlichen ÖBB-Werbung „Von Wien nach Prag um 19 Euro“, in der zwei halblustige Kabarettisten das Lied „Einmal um die ganze Welt“ grauslich verhunzen und sich der arme Karel Gott auch noch für ein Selfie hergeben muss, wäre der Boden des Fasses erreicht. Jetzt muss ich erkennen: Das Fass hat gar keinen Boden!

Für die Neuauflage der Serie Heidi wurde doch tatsächlich Volksrocknroller Andreas Gabalier engagiert, um das Titellied neu einzusingen. „Es war für mich eine Ehre, angefragt zu werden“, so der Sänger (erst im dritten Versuch gelang es mir, dieses Wort richtig zu schreiben). Meine Frage an den Urheber dieser Idee: Haben Sie sich irgendetwas gefragt, bevor Sie eine lebendig gewordene österreichische Kombination aus Trachtenlederhose, rot-weiß kariertem Hemd und Elvis-Frisur gefragt haben, im Vorspann einer Kinderserie zu jodeln, die in den Schweizer Alpen spielt? Da können Sie auch gleich im nächsten Jahr bei der Lauberhorn-Abfahrt in Wengen die Kuhglocken verbieten und Gabalier als Draufgabe die eidgenössische Hymne singen lassen! Aber Achtung: Er mag keine modernen Textfassungen.

Ich seh’s schon kommen: In naher Zukunft wird aus Wickie der neue Käpt’n Iglo, und Pinocchios Nase wird im 36. Teil von 50 Shades of Grey – Hölzerne Spiele auf eindeutig unkonventionelle Weise zum Einsatz kommen.  Diese düsteren Aussichten lassen keine andere Wahl: Es gibt nur einen Weg zur Rettung des Planeten.

In einer konzertierten Anti-Terror-Aktion müssen die örtlichen Baumärkte gestürmt und ihres sämtlichen Vorrats an Klebeband, Seilen und Kabelbindern beraubt werden. Danach wälze sich der Mob zum Haus von Andreas Gabalier, um lautstark die Herausgabe aller existierenden Masterbänder der neuen Heidi-Hymne zu fordern. Geschieht das nicht innerhalb einer Stunde, ist das AVVK (Anti-Volksgut-Verhunzer-Kommando) berechtigt, den Delinquenten sowie seine Knopferlharmonika mittels der mitgebrachten Utensilien daran zu hindern, auch nur einen Ton des neuen Liedes zu singen oder zu spielen. Als zusätzliche Buße wird dem Straftäter auferlegt, ein Jahr lang täglich am Hauptplatz einer anderen österreichischen Stadt den derzeit gültigen Text der Bundeshymne durch ein Megaphon aufzusagen. Sollte er den Versuch des Gesangs unternehmen, verlängert sich die Buße automatisch um ein weiteres Jahr.

 

Himmel über Paris (Brief an drei verirrte Seelen)

Im Gedenken an die Opfer der Terroranschläge vom 7.1.2015

Ich weiß nicht, wo ihr gerade seid. Ob ihr, während ich dies schreibe, von einer schier unübersehbaren Schar Jungfrauen becirct werdet. Oder ob ihr euch ganz ohne Gesellschaft ungläubig die Augen reibt, angesichts einer riesigen Schale Obst – es wäre ein hübscher Beweis dafür, dass nicht alle Versprechen so gemeint sind, wie sie gerne verstanden werden.

Ich hoffe aber, ihr hattet drei Logenplätze mit bester Sicht auf die zahllosen Menschen, die vor ein paar Wochen in Paris gezeigt haben, wie stark geeint sie stehen gegen eure Schändlichkeiten. In deren Herzen der Samen des Hasses, den ihr mit eurem feigen Anschlag gegen  Zeichenstift und Feder säen wolltet, niemals aufgehen geschweige denn Frucht tragen wird.

Weil wir schon bei Fehleinschätzungen sind: Der Plan, ein Medium auszulöschen, weil es nach eurem Ermessen den Propheten Mohammed beleidigt hat, erwies sich als der größte Rohrkrepierer aller Zeiten. Die Zeitung Charlie Hebdo hatte bis vor kurzen eine Auflage von sechzigtausend Stück; in einem Land mit knapp 66 Millionen Einwohnern nicht der Rede wert. Von der Ausgabe nach eurem vermeintlichen Husarenstück wurden sieben Millionen gedruckt. Und hier ist nur von der ersten Auflage die Rede, wohlgemerkt. Damit hat sich euer Feind, anstatt der Vernichtung anheim zu fallen, mehr als verhundertfacht. So etwas nenne ich eine gelungene Operation!

Darf ich euch zwei Fragen stellen? Wie steht es um den Charakter eines Propheten, der sich von einer Zeichnung – wie provokant sie auch sein mag – beleidigen lässt? Wie schwach ist euer Gott, von dem ihr gleiches sagt? Meinen Gott ficht so etwas nicht an. Er ist beständig in seiner Liebe zu mir, nimmt alles hin, was ich ihm entgegenschleudere. Ich machte ihm Vorwürfe, die meinen besten Freund vertrieben hätten. Mein Gott aber ist bei mir geblieben.

Jetzt verrate ich euch etwas: Gerüchte besagen, wir glauben an den gleichen Gott! Ihr drei, ich, Charb und seine Kollegen bei Charlie Hebdo, Europäer und Araber, Juden, Christen und Moslems, überhaupt alle Menschen auf der Welt! Ist das nicht wunderbar?

Ich sehe ein Stirnrunzeln im Himmel über Paris. Das kann nicht zusammengehen, denkt ihr wohl, wenn euer Gott beleidigt ist und meiner nicht. Nie und nimmer sprechen wir vom gleichen Gott.

Meine Theorie dazu ist vielleicht abwegig, aber ich bringe sie trotzdem: Irgendwann hat jemand – ein Lehrer, ein Imam, ein guter Freund – euch erzählt, euer Gott wäre beleidigt, wenn er diese und jene Dinge sehen muss. Falsche Lebensweisen, kritische Zeichnungen, fremde Religionen. In dem Moment hättet ihr euren Grips anstrengen und euch fragen können: Ist das wirklich so? Doch ihr habt den Worten sofort geglaubt – euer Verstand hatte nicht die geringste Chance herauszufinden, ob ihr selbst auch so denkt. Und nach einer Weile machte es keinen Unterschied mehr, ob euch jemand sagt, Gott sei beleidigt, oder ob es wirklich der Fall ist.

Beleidigungen tun weh, keine Frage; ich habe viele davon erlebt. Sie nahmen nicht den Umweg über Gott, sondern trafen mich direkt. Manche geschahen aus Unachtsamkeit, mit anderen wollte man mich bewusst verletzen.  Ich habe alle ertragen, mit Hilfe meines Gottes und vieler Freunde. Und dank einer Gabe, die jeder Mensch beim Betreten dieser Welt in sich trägt. Auch ihr drei habt sie bekommen: das Lachen.

Ihr habt vergessen, wie man lacht. Als Kinder konntet ihr es, da bin ich sicher. Euer Kinderlachen war hell, durchdringend und befreiend, wie jenes aller anderen Kinder auch. Und wieder hat euch jemand gesagt: Lacht nicht! Seht doch, wie schlecht die Welt ist! Und alle anderen sind schuld daran! Damit war der Samen des Hasses in euch gepflanzt.

Euer Gott ist so groß und so gütig und so liebevoll und so wenig beleidigt wie der meine. Ich befürchte aber, ihr würdet ihn nicht erkennen, selbst wenn er direkt vor euren drei Nasen stünde. Denn der Hass hat eure Augen blind, eure Ohren taub und eure Herzen kalt gemacht. Andere zogen diesen Hass in euch heran, bis seine Schwärze alles zudeckte und er reif war für die Ernte. Sie drückten euch Waffen in die Hand, nannten euch eine Adresse in Paris. Blind, taub und kalt seid ihr losgestürmt.

Waffen können Menschen auslöschen, aber keine Geisteshaltung. Sie können Gliedmaßen, Organe verletzen, aber kein Vertrauen in sich selbst, in den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, in Gott.

Auch wenn die Menge von Paris schweigend marschierte, drang ihr seelenvoller Ruf millionenfach in den Himmel, verstärkt von zahllosen Herzen auf der ganzen Welt. Keine Waffe, keine Hassrede und keine Beleidigung wird ihn jemals verstummen lassen.

Ich bin das Lachen! Ich bin die Freude am Leben! Ich bin Charlie!

 

 

Star Wars in BetleheM

Bei meinem siebenjährigen Neffen Johannes ist die Krieg-der-Sterne-Phase voll ausgebrochen. Das äußert sich in Marzipanverzierungen auf Geburtstagstorten, Plastik-Laserschwertern, um mit dem kleinen Bruder klassische Kampfszenen aus den Filmen in Originallänge nachzuspielen, sowie zahllosen Figuren in Playmobilgröße: Tische, Regale und der Fußboden gehören längst zu einer weit, weit entfernten Galaxis.

Aber auch in diesem Jahr gelang es meiner Schwester Evi, Mutter jener zwei kleinen Jedi-Ritter (die beiden älteren Kinder haben diese und viele anderen Phasen bereits glücklich überwunden), unter Einsatz aller Autorität, einen weihnachtlichen Platz im Wohnzimmer zu erkämpfen. Sohin stand in der Ecke ein festlich geschmückter Christbaum und davor eine moderne Krippe, deren Figurenzahl durch kontinuierliche Erweiterung des Tierbestandes schon beträchtlich ist.

Als sie am Morgen des Christtages zur Krippe schaute, fand sie weder das Jesuskind noch dessen Eltern oder Ochs und Esel an den ihnen seit Jahrtausenden fix zugewiesenen Plätzen vor. Sie lagen zerstreut in alle Richtungen; eine Figur inmitten des Chaos ähnelte sehr verdächtig dem unter Insidern bekannten Luke Skywalker.

„Was ist denn hier los?“, galt Evis erste Frage folgerichtig Johannes, der auf der Couch saß und seelenruhig einen Weihnachtskeks verspeiste.

„Darth Vader hat die Krippe angegriffen!“, gab der Kleine zur Antwort. Er tat dies mit großen Augen, die die Unwissenheit seiner Mutter zugleich tadelten und bedauerten. „Luke Skywalker hat es nicht verhindert. Keine Ahnung warum.“

Wäre meine Schwester mit dem Star-Wars-Universum vertraut, hätte sie einen blitzgescheiten Konter fahren können: Dann wären die Figuren durch das Laserschwert von Darth Vader verdampft, nicht bloß umgefallen. So aber blieb ihr nur die Aufforderung an den Sohn, alles in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, was dieser nach einem weiteren Wie-kannst-du-eine-so-dumme-Frage-stellen-Mama-Blick auch tat.

Nachdem der letzte Hirte wieder seinen Platz gefunden hatte, gestattete Evi sich den nachträglichen Wunsch ans Christkind, die Krieg-der-Sterne-Phase möge bis zum nächsten 24. Dezember abgeklungen sein. Andernfalls fände sie möglicherweise in knapp einem Jahr unter dem Baum eine Original Star-Wars-Krippe, mit einem Laserstrahl anstatt des Sterns über dem Stall von Betlehem.

Aber dieses Schreckensszenario wird die in Sachen Familienweihnachten erfahrene Mutter zu verhindern wissen – schließlich hat sie es bislang auch geschafft, den Weihnachtsmann aus ihrem Haus fernzuhalten. Möge die Macht mit ihr sein!

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