Versuch einer Einladung
Sonntag Nachmittag im Café Sacher. Nach einem intensiven Schreibwochenende gönne ich mir wieder einmal meine kulinarische Lieblingssünde, ein kleines Savarin, bevor ich den Tag mit einer Komödie im Kino ausklingen lasse. Es herrscht viel Betrieb, doch am Fenster gegenüber der Kuchenvitrine wartet ein freier Tisch auf mich. Mein Seufzer schließt Erleichterung, Zufriedenheit und Vorfreude zu gleichen Teilen ein.
Am Nebentisch sitzt eine alte weißhaarige Dame, gebeugt von wohl mehr als achtzig Jahren. Die Aura ihres Begleiters, Großneffe oder Enkel dürfte ganz gut hinkommen, verströmt so viel Wohlstand, als wurde erst kürzlich ein neues, extra penetrantes Parfum dafür auf den Markt geworfen: hellblaue Wildlederslipper, Maßsakko und eine Breitling, die kaum nach einem Mitbringsel vom letzten Strandspaziergang in Caorle aussieht. Seine Solariumbräune schafft es nicht ganz, die Langeweile in seinem Gesicht zu kaschieren.
Eine Kellnerin serviert den beiden Kaffee. Plötzlich zieht der junge Mann ein ultraflaches Mobiltelefon aus der Tasche und sagt: „Damit ich den Kleinen Braunen mit dir in Ruhe genießen kann, muss ich vorher noch eine Überweisung machen.“ Die alte Dame schaut ein wenig verwirrt, deshalb setzt er hinzu: „Der Reifenschaden, du weißt eh.“
Er beginnt hektisch, auf seinem Display zu wischen. Die Dame greift nach ihrer Tasse, zieht die Hand jedoch wieder zurück. Offensichtlich will sie nicht unhöflich sein.
„Nein, fang ruhig an“, meint ihr Gegenüber, ohne sie dabei anzusehen. Im nächsten Moment springt er auf und sagt: „Der TAN-Code wird auf mein anderes Handy geschickt. Das muss ich schnell im Auto holen.“ Ohne ein weiteres Wort wendet er sich ab und verlässt eiligen Schrittes das Café.
„Die moderne Technik“, sage ich laut, weil mir die alte Frau leid tut. Sie reagiert nicht, ob aus mangelndem Hörvermögen oder aus Trauer, von diesem Flegel so rüde sitzen gelassen zu werden.
Als er nach mehr als zehn Minuten wieder erscheint (Ist das Auto jenseits des Kapuzinerbergs geparkt?, denke ich zynisch), hat die Dame ihre Tasse zur Hälfte geleert.
„So, alles erledigt“, sagt der Schnösel. „Jetzt können wir Kaffee trinken.“
Die alte Dame weist ihn auf einen Buben hin, der mit großen Augen vor der Vitrine steht und dann hektisch seinem Vater zuwinkt. „Schau, wie nett der Kleine ist.“
Der blöde Kerl hat aber schon wieder sein Handy in der Hand und wischt darauf herum. Da gibt die alte Dame es auf und seufzt. „Du solltest zahlen. Hast du die Kellnerin schon gerufen?“
„Nein, aber ich mache es gleich.“ Er hat keinen Blick für sie, nur für sein Telefon. „Du kannst vorausfahren, wenn du willst.“
„Wie meinst du das?“ Sie schaut ihn fragend an.
„Es war der Versuch eines Witzes.“
„Dann werde ich versuchen, darüber zu lachen“, kommentiert die noble Dame trocken, schüttelt leicht den Kopf und erhebt sich mühsam. Er findet es nicht der Mühe wert, ihr den Arm zu reichen.
Das war wohl der Versuch einer Einladung. Ich schaue der alten Frau nach, wie sie langsam und auf ihren Stock gestützt zum Ausgang geht.
Wie klein und flach Mobiltelefone in Zukunft auch sein mögen: Die Ignoranz, sich dahinter zu verstecken, ist immer groß genug.