Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Foto MKH 3 klFotos: Martin, Hannes: Rudi Ferder, Karola: Getty Images

 

3. Mai 2020: Meine "Partners in Crime"

Jo hallo, hier ist der Kernölbotschafter. Neben den Professionen vieler Leute, deren Tun seit der nervenden Anwesenheit von Señora Corona endlich als relevant angesehen wird statt wie bisher nur als selbstverständlich – vom Krankenpfleger bis zur Dame an der Supermarktkasse –, gibt es eine Gruppe, die nicht unbedingt systemerhaltend ist. Sie stellt aber so etwas wie die Seele unserer Gesellschaft dar, denn sie produziert den intellektuellen Treibstoff aus Ideen, Theorien, Utopien und auch Fantasien, der unseren Hunger nach kreativem und konstruktivem Denken stillt. Oder uns, nicht weniger wichtig, alle Probleme und Sorgen für zwei glückselige Stunden vergessen lässt.

Es sind die Künstlerinnen und Künstler aller Sparten und Richtungen, von denen hier die Schreibe ist. Als Satiriker (wenn mich der HG noch ein einziges Mal Gaukler schimpft, kündige ich ihm augenblicklich die Freundschaft!) kenne ich selbstredend eher Kolleginnen und Kollegen im humorigen Bereich, aber vom Stress mit der spanischen Bierverkäuferin sind sämtliche Kulturschaffende betroffen.

Nach dem ersten Schock – keine Veranstaltungen vor Publikum bis weit in den Sommer – haben viele ihre Kreativmotoren (die sitzen gleich neben der Milz, das wissen die wenigsten) angeworfen und ihre Angebote, Auftritte, Kurse ins weltweite Netz verlegt. Nur ein schwacher Ersatz für einen Live-Auftritt, eh schon wissen, von der pekuniären Havarie ganz zu schweigen. Aber was da an Wohnzimmerkonzerten, Balkonarien, Hinterhofsolos und online kombinierten Freundschaftsgigs stattfindet, ist aller Ehren wert. Sogar riesige Chöre singen miteinander, obwohl jeder und jede für sich im stillen Kammerl hockt. Dadurch entsteht eine neue Form von Gemeinschaft, die den fehlenden persönlichen Kontakt zwar nicht aufwiegen kann, wohl aber zeigt, dass wir Menschen in unserer Fähigkeit, alternative Lösungen zu suchen, nahezu unendlich erfinderisch sind.

Vor ein paar Jahren – der HG und ich lebten noch in Salzburg – saßen wir nach vollbrachtem Tagwerk vor dem Fernseher. Das heißt, er war arbeiten, ich habe auf den Kuss irgendeiner Muse gewartet. Uns war ein bisserl fad, also zappten wir durch die Kanäle. Ein Fußballspiel (gibt’s schon fast jeden Tag – gähn), Das Traumschiff (suuuuuper, wie sich alle Dramen auf einem riesigen Touristendampfer in nur 90 Minuten lösen lassen – gääääähhhhhn!) und Armageddon (Bruce Willis und Co. retten wieder einmal die Welt, mit einem einzigen, klassischen Satz: „Ich weiß nicht, was Sie auf der Erde tun, Mr. President, aber wir haben hier ein Loch zu bohren!“ – gääääähhhhhnn!!!). Alles furchtbar langweilig. HGs Finger schwebte schon über dem kleinen roten Knopf auf der Fernbedienung, um alle Dramen auf einen Drücker zu beenden und ins Bett zu gehen.

Aber mit der Muse ist es wie mit der Liebe – sie küsst dich zumeist in einem Moment, wo du es am Allerwenigsten erwartest. Als die betrogene Ehefrau am Oberdeck endgültig mit Scheidung drohte, Bruce Willis alias Harry Stamper den allerallerletzten Bohrkopf verschraubte und der Kick in einem nervenzerfetzenden Elfmeterschießen seiner Entscheidung entgegenstiefelte, schauten der HG und ich uns plötzlich an.

„Denkst du, was ich denke?“ – Daraus könnte man etwas machen! – „Nicht könnte, mein lieber KB. Daraus werden wir etwas machen. Jetzt sofort!“

Nach einer Nanosekunde saßen wir am PC und legten los. Ich diktierte, und HGs Finger flogen schnell wie selten über die Tasten. Keine drei Stunden später – also weit nach Mitternacht, aber wenn die Lokomotive der Kreativität einmal brüllt und stampft, existiert ohnehin keine Zeit mehr – war alles getippt und korrigiert. Mit vor Müdigkeit kleinen Augen schauten wir auf unser Werk.

„Eigentlich muss man das zu dritt vorlesen“, meinte HG sinnierend, und ich stimmte ihm sofort zu.

Aber mit den richtigen Partnern.

„Korrekt. Das müssen Partners in Crime sein, echte Komödianten.“

Irgendwann werden wir sie finden.

Und wir haben sie gefunden. Einige Jahre vergingen, aber gut Ding braucht manchmal Weile. Bei einer Lesung hat HG unser Stück gemeinsam mit der besten Besetzung vorgetragen und wurde dafür tosenden Applaus belohnt. Wieder ein Jahr später kam Señora Corona, und so fand das kongeniale Trio wieder zusammen, um eine Home-Office-Pandemie-Version des Stücks aufzunehmen.

Voilà, hiermit präsentiere ich Martin Kosch (Kabarettist, Zauberer, Wuchtelkaiser von Graz) und Karola Sakotnik (Keynote-Speakerin, Kulturschaffende, Coach etc., Feldbach), mit denen ich das Stück Wer zappt, gewinnt! aufgenommen habe. Es warten zehn Minuten TV-Geschichte auf Sie –so haben Sie Fernsehen noch nie gehört!

Erkenntnis des Tages: Mit Freunden künstlerisch tätig sein – das gehört zu den erfüllendsten Momenten in meinem Leben. Martin kenne ich seit mittlerweile 29 Jahren, zwischen uns passt kein Blatt Papier. Karola wurde nach meiner Rückkehr aus Salzburg zu einer Freundin und geschätzten Kollegin. Die Arbeit mit ihnen trägt mich, lehrt mich und macht ungemein viel Freude. Danke dafür!

Zitat des Tages: „Das wird ein Riesenspaß!“ (Diesen Satz müsste ich dreimal anführen – wir alle haben ihn gesagt. Und so war es dann auch!)

Video des Tages: Wer zappt, gewinnt! (Um es abgewandelt mit dem legendären Karl Farkas zu sagen: Hören Sie sich das an!)
https://www.youtube.com/watch?v=bvxjlHCM-EU&t=134s

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Peanuts Philosophie

 

2. Mai 2020: Der KB hält eine Philosophiestunde

Hey HG, an einem Samstag schon so früh in der Redaktion? Senile Bettflucht?

Schon möglich. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Das Bett hätte ich gar nicht gebraucht, so wenig habe ich geschlafen.

Was treibt dich um?

Gaukler wie du, mein lieber KB, können das vielleicht nicht verstehen, aber manchmal stelle ich mir schon die Was-wird-sein-Frage.

Die da wäre?

Was wird sein, wenn Señora Corona nichts bewirkt? Jetzt reden viele davon, ihr Leben zu ändern, regional zu kaufen, liebevoller mit ihren Nachbarn umzugehen. Andere Leute sind der Meinung, nach ein paar Monaten wird alles wieder so sein wie vorher. Was denkst du?

Erstens: Ich mag es nicht, wenn du so ernst bist. Zweitens: Verschieden, wie die Menschen sind, werden die Reaktionen ausfallen.

Was wird überwiegen? Das Positive oder das Negative?

Kann ich dir nicht sagen. Aus meiner humoristischen Lebenserfahrung neige ich zum Negativen, aber ich kann mich auch täuschen.

Humor und negativ, wie passt das zusammen?

Eigentlich gar nicht, da hast du schon recht. Es ist mehr eine Schlussfolgerung.

Ich verstehe nur Corona. Bitte erklär’ es mir.

Also pass auf: Das Geschäft des Satirikers läuft wie geschmiert, wenn er seine Zuhörer emotional trifft. Da trifft es sich gut, dass die meisten Menschen emotional gesteuert sind. Die lachen sich einen Ast ab, weil ihnen dein Humor direkt in die Magengrube fährt, falls er authentisch ist.

Was hat das mit der Krise zu tun?

Geduld, liebe HG. Die schlimmsten Typen im Publikum sind immer die Skeptiker. Kopfmenschen, die eine Firewall im Hirn installiert haben, an der jeder Witz auf seine Qualität abgeklopft wird. Die fragen sich ständig: „War der gut?“ und haben in der Zwischenzeit längst die drei nächsten Pointen verpasst.

Apropos Point-en. Kommst du irgendwann auf den Punkt, KB?

Ich sage es dir immer wieder gerne: Deine Wortspiele sind grausam.

Besser ein grausames Wortspiel als endloses Geplapper.

Ich plappere nie! Hier ist des Kernes Pudel: Wenn es um ernste Dinge geht, sind Kopfmenschen im Vorteil, weil sie durch ihr Reflektieren schneller zu einer Bewertung von Problemen und sohin – du leihst mir doch dein absolutes Lieblingswort, HG? – zu einer praktikablen Lösung kommen. Daher sind sie auch offener gegenüber Veränderungen.

Und die Emotionalen?

Die ändern nur etwas, wenn sie persönlich betroffen sind. Oder wenn ein naher Verwandter, ein Freund an Corona erkrankt, vielleicht stirbt. Das gilt natürlich für alle Schicksalsschläge. Bei den meisten Leuten bleibt die Krise aber ein reines Medienthema, das wieder verschwindet. Deshalb werden sie nachher relativ schnell wieder zu ihrem von früher gewohnten Leben zurückkehren.

Sohin – meine Lieblingswörter lässt du schön bei mir, verstanden? – ist deine Zukunftserwartung negativ, weil es mehr emotionale als kopflastige Menschen gibt?

Und auch mehr als direkt Betroffene, zum Glück. Du bist wahrlich kein Blitzgneißer, HG, aber jetzt hast auch du es verstanden.

Nun sag mir, o Kernölbotschafter, Philosoph von hoher Erkenntnis: Wenn selbst du als beruflicher Spaßmacher trübe Aussichten befürchtest, wie soll mir als biederem Kopfmenschen, der ich bin, die Zukunft nicht den Schlaf rauben?

Naja, ist alles eine Frage der Haltung.

Auf welcher Seite ich im Bett schlafe, oder wie?

Du schläfst in einem Doppelbett, HG? Seit wann? Wie heißt sie? Woher kennt ihr euch? Wieso hast du mich noch nicht vorgestellt?

Sehr witzig, KB. Ich meinte die Körperseite!

Ach so. Und ich meinte deine Einstellung. Die Leute machen sowieso, was sie wollen. Andere kannst du nicht ändern, nur immer dich selbst. Aber du kannst darüber reden, schreiben, singen, malen, modellieren, was du willst. Mach dir selbst ein Bild, triff deine Entscheidung, steh dazu und handle danach. Aber am Allerwichtigsten: Lass dir deinen Humor nicht nehmen, von niemandem!

Das wird nie passieren, keine Sorge. Falls ich doch irgendwann gefährdet sein sollte, kommst eh du in vollem Karacho mit Blaulicht daher und erzählst mir einen Chuck-Norris-Witz.

Apropos: Chuck Norris hörte, dass nichts ihn töten könne. Also ging er los und tötete das Nichts zuerst. Der passt auch gut zur wichtigsten Grundregel: geschmeidig bleiben!

Du sagst es, KB. Ein perfektes Schlusswort für die heutige Philosophiestunde. Und weil du mich so wunderbar aus meiner Trübnis geholt hast, verrate ich dir ein Geheimnis: Sie heißt …-

Überlass mir die Scherze, HG! Meine glauben die Fans unseres Tagebuchs wenigstens!

Erkenntnis des Tages: Heute Vormittag musste ich einen etwa Zwanzigjährigen erziehen, der auf dem Parkplatz vor der Redaktion seinen Zigarettenstummel mittels „Drop and Stomp“ auf die ganz Schnelle entsorgen wollte. Er klaubte den Abfall nach meinem in Lautstärke und Botschaft ziemlich eindeutigen Hinweis brav wieder auf und verwendete den wenige Meter entfernt dafür aufgestellten Aschenbecher. Dieses Erlebnis trug auch nicht wirklich dazu bei, meine positiven Erwartungen an die Zeit nach Señora Corona zu steigern. Aber ich halte es trotzdem mit dem Kernölbotschafter: Der Humor stirbt zuletzt!

Zitat des Tages: „Ein kleines Geschenk für Sie!“ (Da kein grüner Salat mehr vorrätig war, übergab mit der Filialleiter vom BILLA in Feldbach eine Dose mit frischen, gemischten Melonen. Und schon erklomm mein Positive-Erwartungen-Konto wieder ein paar Sprossen!)

Song des Tages: Better Man (Robbie Williams spricht in diesem Video auf sehr berührende Weise das Erstrebenswerteste auf unserem Lebensweg aus. Wir dürfen uns entwickeln und bessere Menschen werden, für uns selbst und alle anderen. Mehr noch – die besten, die wir sein können.)
https://www.youtube.com/watch?v=oVHkScXobG0

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

F01 Kanzler kickt

 

1. Mai 2020: Alles neu macht der Mai - oder auch nicht

Jo hallo, hier ist der Kernölbotschafter. Irgendwie traurig, der 1. Mai in Wien. Kein rotes Fahnenmeer am Heldenplatz. Stattdessen wird Frau Doktor Pamela „Yes we Pam“ Rendi-Wagner immer mehr zum roten Tuch für die Genossinnen und Genossen – da hilft es auch gar nix, dass sie in Spanien überlegen, den Stierkampf abzuschaffen. Wobei: Es ist ja nicht die erste Krise der Sozen in ihrer Geschichte. Die letzten Jahre schauen viel eher aus wie eine Aneinanderreihung von Problemen und Hoppalas der einst so stolzen Partei. Jener Obmann, der echt was drauf hatte, war dem Vorstand nicht fesch genug; in Wahrheit hat Alfred Gusenbauer als Einziger bewiesen, dass er Wahlen gewinnen kann. Das kommt heraus, wenn man nur auf die äußeren Werte achtet. Nachstehend zwei erschütternde Beispiele aus meinem Archiv.

Und morgen, nach dem Tag der Arbeit, machen wir uns alle wieder an dieselbe. Ich freue mich, los geht’s!

Alles neu macht der Mai (1. Mai, anno 2005)

Freundschaft, Fritzl! – Grüß dich, Gusi!
Na, wie spielt heuer die Musi?

Ich sag’ es ganz ohne Zynismus:
Heuschreckenkapitalismus!
Wenn der Schüssel dabei mit muss
Stärkt er meinen Optimismus
Dass die Partei mit voller Kraft
Im nächsten Jahr die Wende schafft

Auf uns kannst du dich verlassen!
Der ÖGB hat volle Kassen
Der Konsum war nicht das Ende
Die BAWAG zahlt brav Dividende
Und in meiner Penthousewohnung
Genieß’ ich volle Mietpreisschonung
Zur Not hab’ ich ein Taschenfeitl
Wenn’s eng wird mit dem Christoph Leitl

Alles neu macht der Mai (1. Mai, anno 2006)

Servus, Alfred, ich bin’s, Fritz ...
Wer? Das ist doch wohl ein Witz!
Du traust dich, mich anzusprechen?
Das Genick sollt’ ich dir brechen
Nach Haftung, Refco und Karibik
Die G’werkschaft is’ nur noch beliebig!
Wie soll ich die Wahlen g’winnen
Wenn bei euch die Würmer drinnen?

Glaub es mir, roter Genosse:
Schuld dran sind die BAWAG-Bosse!
Ich versteh’ nix von Geschäften
Doch es tät’ mich sehr entkräften
Müsst’ ich raus aus meiner Wohnung
Krieg’ ich weiter Mietpreisschonung ... ?

Als Pensionist im Penthouse aalen?
Darüber red’ ma nach den Wahlen!

 

Was Christian Kern (nie) war

Ein Manager, von Zweifeln frei
Kam als Retter einst herbei
Die Partei rief: "Du bist fesch!
Und ab sofort Regierungschef!"

Was er vorher nicht alles war!
Verbund und ÖBB sogar
Führte er in schwarze Zahlen
Damit ließ sich ganz schön prahlen

Seine Kleidung passgenau
Sein Gang ufrecht, sein Blick schlau
Ein echter Staatsmann für ein Land
Das sich tief beeindruckt fand

Als kurz darauf ein junger Spund
Seinen türkisen Plan tat kund
Fühlte er sich gut geeicht
Dich grünes Bubi schnupf' ich leicht!

Er präsentierte den Plan A
Wie ein Hollywood-Filmstar
Doch Lesen ist für viele Qual
Sehr wohl verstehen sie: "Neuwahl!"

Er nahm den Fehdehandschuh an
Doch dachte nicht im Traum daran
Dass nur, wer führt, entkommt dem Scheine
Ich bin doch Chef, und nicht der Kleine!

Beraten ließ er sich von Leuten
Die ihn zum Pizza fahren scheuchten
Einer saß recht bald im Knast
Trotzdem hat er es nicht erfasst

Und eines Abends, ach du Schreck!
Sein Sonnenplatz war plötzlich weg!
Der Schock darüber saß sehr tief
Sind das die Geister, die ich rief?

Zweiter nur? Das kann doch nicht
Die Wahrheit sein!
, stand im Gesicht
Was für ein Wort - Opposition!
Da ernte ich nur Spott und Hohn!

Er hat es eine Zeit probiert
Damit sein Unglück prolongiert
Doch jetzt ist endlich damit Schluss
Im Business komm' ich neu in Schuss!

Heute zahlt ihn Putins Bahn
Und auch in China schafft Kern an
War Österreich ein Schuss ins Knie?
Nein – Bundeskanzler war er nie ...

Erkenntnis des Tages: Eine starke Sozialdemokratie wäre wichtig für Österreich und ganz Europa. Leider haben sich die Forderungen und Ansprüche der Parteien und der mit ihr verbundenen Organisationen immer weiter von der Lebensrealität der Menschen entfernt. In Kombination mit unglücklichen Personalentscheidungen (das gilt vor allem für Deutschland und Österreich) sowie anderen Fehlern waren die Wahlniederlagen beinahe logische Folgen. Aber Werte bestehen weiter – die Coronakrise kann eine Chance sein, sie mit der Partei und den dafür einstehenden Persönlichkeiten ins 21. Jahrhundert und so den Menschen nahe zu bringen.

Zitat des Tages: „Die Ideologie der Neoliberalen und Konservativen wurde durch die Corona-Krise in die Mottenkiste befördert.“ (SPÖ-Vorsitzende Dr. Pamela Rendi-Wagner heute bei ihrer Rede zum Tag der Arbeit in Wien. Wo sich die Ideologie ihrer eigenen Partei derzeit aufhält, sagte sie leider nicht.)

Song des Tages: Freindschoft (Als Parteigruß klingt das Wort in meinen Ohren bisweilen unpassend und falsch. Die Wiener Band Edmund  singt davon, was Freundschaft sein kann – im besten Sinne!) https://www.youtube.com/watch?v=xd0uIDdrAWE

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Postfahrrad

 

29. April 2020: Gegen wen Señora Corona keine Chance hat

Jo hallo, hier ist der Kernölbotschafter. Der HG ist nicht da – er weilt schon wieder bei zwei Auswärtsterminen in Studenzen, dieses Dorf scheint es ihm aus irgendeinem Grund angetan zu haben –, also hat er mich dazu verdonnert, die Redaktion zu hüten. Der Weg von meiner Wohnung ist ja nicht weit, und weil die Luft nach dem Regen so schön frisch ist, habe ich mich an den Spruch des Turnvaters Jahn erinnert und beschlossen, frisch, frei, fröhlich, fromm herzuspazieren.

Kennen Sie die alte Bauernregel Je fröhlicher du selber bist, umso mehr zwiderne Leut’ du triffst? Es war unglaublich! Kaum jemand auf der Straße, dem die Mundwinkel nicht auf der Kniescheibe hingen. Okay, das Wetter in der Früh war nicht erste Sahne, aber gerade den Wassernachschub von oben brauchen wir eh so dringend, der ist auch ein Grund zur Freude. Keine Spur davon – nach dem heutigen Tag glaube ich sowieso, dieses Vokabel kommt im Wortschatz der meisten Leute gar nicht vor. Und denen vorzubeten, wie gut sie es in Wirklichkeit haben, dass es anderen viel schlechter geht und sie das auch checken, wenn sie nur zwei Sekunden in die Zeitung schauen, ist verlorene Mühe; von Liebe spreche ich da erst gar nicht.

Nein, Freunde, der alte KB weiß etwas viel Besseres: Wir lassen die Suderanten, Trübsalbläser und Dunkelgrauschwarzmaler genau so links liegen wie die neuerdings komisch links anmutenden Ideen des Herbert Kickl. Sein Gieskannentausender für alle (wohin sind bloß die kleinen Leute der FPÖ verschwunden?) macht gleich wenig Sinn, wie der AUA (endlich stimmt der Name!) ohne Gegenleistung fast 800 Mille in die kalten Kerosintanks zu blasen.

Was aber sehr wohl Sinn macht: Sich daran zu erinnern, dass es auch andere Menschen gibt. Menschen, die weitermachen und sich nicht unterkriegen lassen. Die trotz Señora Corona derart fröhlich und aufgeräumt durchs Leben rauschen, als hätte ihnen Bill Gates persönlich bei der Geburt ein unzerstörbares positives Betriebssystem eingebaut. Sie denken, ich fantasiere? Weit gefehlt – diese Erdlinge gibt es. Deshalb stelle ich Ihnen zwei davon vor.

Gelbschwarz wie die Biene Maja (jetzt nur nicht an Karel Gott denken!), nur größer und dank Elektrolieferfahrrad auch viel schneller – das ist Conny, die täglich dem HG seine Firmenpost bringt. Er schwärmt in höchsten Tönen von ihr, und nachdem ich sie kürzlich selbst kennenlernte, muss ich zugeben: Er hat recht. Schlechte Laune scheint dieses quirlige Springinkerl nicht zu kennen. Mit einem kernigen „Geht’s euch gut?“ erscheint Conny in der Redaktion, schäkert ein bisschen mit unserer Sekretärin (HG darf sie nicht so nennen, aber ich schon; weil sie mich lieber mag, ätsch!) und zischt schon wieder weiter, um dem nächsten Postempfänger einen kräftigen Energieschub zu verpassen. Menschen von Connys Typ sind viel zu selten. Sie sorgen dafür, dass der Luftdruck steigt, die Sonne aufgeht und so richtig Leben in die Bude kommt. Ihre Fröhlichkeit verbreitet sich in jeder Ecke, und man lächelt weiter, wenn sie schon lange fort sind. In solchen Momenten fragen wir uns, warum sich die Suderanten oft viel tiefer in unsere Festplatten brennen als Leute wie Conny. Das läuft falsch, und wenn die spanische Bierverkäuferin irgendwas Gutes hat, dann gibt sie uns Anlass, diese dämliche Programmierung zu ändern.

Von seinem Physiotherapeuten Markus hat der HG schon kurz erzählt. Irgendwie wundert es mich selber, dass er heute hier auftaucht, denn dem Temperament nach ist er so ziemlich das Gegenteil von Conny. Absolut ruhig und zurückhaltend, aber wer ihn länger kennt, erkennt das stille Wasser in dem kleinen, drahtigen Kerl. (Irgendwie geht das Sprichwort anders, aber Sie wissen schon, was ich meine.) Apropos klein und drahtig: Markus schaut nicht unbedingt danach aus, aber der hat einen Griff, kann ich Ihnen sagen! Einmal hatte der HG keine Zeit für (oder keine Lust auf) die Therapie, da hat er mich geschickt. Diese halbe Stunde Dehnen wird schon nicht so schlimm sein, habe ich mir gedacht, aber danach sangen meine Oberschenkelsehnen das Hohe C sauberer als  eine Königin der Nacht es je geschafft hat – und einige von denen waren echt gut! Markus lächelt dazu, erzählt Geschichten von seinen Kindern, schaut kein bisschen angestrengt drein. Er findet immer Lösungen für HGs Wehwehchen und jammert auch während der Krise nicht, obwohl er viel weniger Arbeit hat. „Was soll’s, es geht immer weiter“, lautet sein Wahlspruch, und schon packt er bei der nächsten Übung zu.

Mehr Markusse, mehr Connys – das würde mehr Lachen und mehr Zupacken bedeuten. Und am Wichtigsten: endlich Schluss mit dem Gesudere in unserem Land, das bei genauem Hinschauen gerade jetzt noch immer eine Insel der Seligen ist. Gegen diese Überzeugung hätte Señora Corona nicht den geringsten Hauch einer Chance. Aber solange der Ö3-Wecker es nicht sagt und die KronenZeitung es nicht schreibt, glauben es die gelernten ÖsterreicherInnen nicht und verstecken sich lieber in ihrer winzigen, dunkelgrauschwarzen Hätti-Wari-Täti-Welt.

Da fällt mir noch was ein – und ich muss es gleich mit einem Geständnis verbinden: Meine Fans wissen, dass ich gerne über den Radiosender lästere, der sich selbst Hitradio schimpft. Oft tue ich das angesichts der zumeist gespielten Musik mit voller Berechtigung. Zum Beispiel dreht sich seit dem groß beworbenen, rotweißroten Musikwochenende in meinem Kopf ein schräger Ohrwurm, kombiniert aus Motorboot und Der Märchenprinz. Der irre Satz In diesem Disco-Bunker bin ich der Märchenprinz, und ruadan tua i nua zua Not rennt seither in Heavy Rotation durch mein inneres Gehör. Meine Sticheleien sind also viel eher Selbstschutz als Boshaftigkeit.

Heute lief aber, als ich wieder einmal auf dem Weg zu einer Tour de BILLA war, ein neuer Song – so gut, dass ich sofort beim Sender um den Titel angerufen habe. Meine eigene Nummer muss ich nachschauen, aber die von Ö3 habe ich im Kopf; brauchen Sie noch mehr Beweise, wie sehr wir von den Medien gebrainwashed werden??? Na jedenfalls, eine nette Dame nannte mir den Titel und die Band. Nach dem Einkaufen wusste ich nur noch, dass in einem von beiden ein Gebirge vorkam; seither suche ich im weltweiten Netz danach.

Mein Gehirn gleicht manchmal einem Nudelsieb. Das macht aber nichts, weil es mir die gute Laune nicht verdirbt. Ich bin wie Conny und Markus – es gibt immer einen Grund zum Lachen und immer eine Lösung. Wenn ich den Song nicht finde, höre ich halt Karel Gott.

Erkenntnis des Tages: „Sag mir, wer deine fünf besten Freunde sind, und ich sage dir, wer du bist.“ Achten Sie sehr genau auf Ihr persönliches Umfeld. Es entscheidet darüber, wie viel Energie Sie haben, ob Sie persönliche Ziele erreichen können, und wie gut Sie schwierige Situationen meistern. Energieräuber kann man nicht immer vermeiden, wohl aber die Zeit mit ihnen verkürzen.

Zitat des Tages: „Heute hab ’ich mich ärgern müssen. Aber wenn ich es rausgelassen habe, ist alles wieder gut. Ihr kennt mich eh schon!“ (Jeder Besuch von Conny in unserem Büro hat mit einem Lächeln geendet. Und ich betone: jeder.)

Song des Tages: Hat der Kernölbotschafter den Ö3-Song doch noch gefunden? Was meinen die Leserinnen und Leser des Tagebuchs? Ob Sie recht haben oder nicht, verrät Ihnen gleich der Link: https://www.youtube.com/watch?v=o-mCm7V7Jxo

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Mr.Chen

 

28. April 2020: Ansichten zu Señora Corona aus dem Reich der Mitte

Interview mit Johnny Chen, in Feldbach lebender Austro-Chinese, geführt am 28.4.

Hallo Johnny. Bitte stell dich selbst vor.

Ich bin 45, von Beruf Gastronom und führe ein Lokal in Feldbach.

Wie hast du auf die Corona-Krise reagiert?

Ich bin zuhause geblieben, wie es die Regierung vorgeschrieben hat.

Du bist in China geboren und mit 12 Jahren nach Österreich gekommen. Was war dein erster Gedanke, als du erfahren hast, es wird schlimm?

Mein erster Gedanke war, dass es meiner Familie und meinen Freunden gut geht, und dass sie sich nicht anstecken, dass niemand stirbt.

Dein Restaurant in Feldbach ist noch zugesperrt bis 4. Mai. Wann hast du es geschlossen?

Am 14. März. Ich habe gesehen, dass die Infektionszahlen rasch steigen. Anfang der Woche gab es damals 108 bestätigte Infektionen, vier Tage später schon über 460. Da habe ich entschieden: Bevor ich meine Familie und meine Kunden in Gefahr bringe, sperre ich zu – noch bevor die Regierung es angeordnet hat.

Du hast neben Feldbach auch einen Wohnsitz in einem Dorf in Niederösterreich.

In einer kleinen Stadt mit 1800 Einwohnern.

Ist das Leben dort anders als früher seit Corona?

Es ist ruhiger, weil sich alle an die Vorgaben halten.

Also gibt es nur wenige Infektionen?

Es gibt gar keine!

Glaubst du, dass die Menschen dort Angst haben?

Sie haben Respekt. Das ist der Menschenverstand. Die Leute wissen, dass sie sich anstecken und ihre Familien gefährden können. Und deshalb halten sie sich im gesamten öffentlichen Bereich an die vorgeschriebenen Regeln.

Du stammst aus China und bekommst Informationen aus erster Quelle. Jetzt muss ich dich natürlich fragen: Stimmt die Theorie, wie das Virus entstanden ist? Auf diesem Markt in Wuhan?

Nein, die stimmt nicht.

Was stimmt dann?

Die Theorie ist noch nicht von der ganzen Welt anerkannt, aber es gibt dieses Chemiewaffen-Labor  in Wuhan, an dem auch Bill Gates und Barack Obama beteiligt sind. Ein Mitarbeiter hat sich angesteckt und das Virus dann verbreitet.

Du glaubst du an diese Theorie?

An der Theorie mit den Fledermäusen kann schon auch was dran sein, aber nicht für so viele Leute. In Wuhan leben 12 Millionen, es müssten über eine Millionen davon Fledermäuse essen, und das stimmt ja nicht. Fledermäuse sind kein alltägliches Lebensmittel. Die werden für Voodoo oder anderen Zauber verwendet.

Also reicht die Fledermaustheorie für eine Massenverbreitung nicht aus?

Nein. Auch für die Übertragung von einem anderen Tier passt das nicht.

Aber es war keine absichtliche Verbreitung?

Nein. Eine Ansteckung innerhalb des Labors, die dann nach draußen gelangt ist.

Darf man das in China laut sagen?

Doch, doch. Das ist eine der verschiedenen Theorien, die untersucht werden. Angeblich kam das Virus aus einem Labor in den USA zur Untersuchung nach China, und dort …-

Also sind die Amerikaner schuld?

Schau: In den USA gab es im Herbst eine starke Grippewelle mit vielen Infizierten. (Siehe dazu https://www.pharmazeutische-zeitung.de/grippewelle-in-den-usa-hat-frueh-begonnen/). Kranke wurden nicht auf das Corona-Virus getestet. Es könnte sein, dass schon Corona-Viren dabei waren. Das weiß man aber nicht.

Ist es derzeit gefährlich, nach China zu reisen?

Nein. Was Corona betrifft, ist es das sicherste Land der Welt. Die Behörden haben es sehr gut unter Kontrolle. Nur in China kannst du ganze Städte abriegeln. Das geht nirgends sonst auf der Welt. In Harbin, wo meine Frau herstammt, haben sie die Beschränkungen gelockert, und jetzt haben sie neue Infektionen durch aus dem Ausland zurückkehrende Chinesen.

Wie wird es langfristig mit dem Virus weitergeben? Wird er verschwinden oder wird er bleiben, was glaubst du?

Der Virus wird für immer bleiben, und er wird jährlich wie die Grippe auftreten. Wir hoffen alle, dass es bis zum nächsten Mal einen Impfstoff gibt, aber dieser Virus wird bleiben.

Würdest du dich impfen lassen, wenn es einen Impfstoff gibt?

Nein.

Warum nicht?

Auch bei der Grippe hilft der Impfstoff nur für einen Stamm, aber es wird immer mutierte Viren geben. Eine Impfung könnte auch den Körper schädigen.

Deine Familie gefährdest du nicht, wenn du dich nicht impfen lässt?

Der Punkt ist: Wenn du einmal diese Krankheit gehabt hast, dann bist du immun.

Dann bist du länger immun?

Für immer. Deshalb ist es viel wichtiger, Medikamente für die Behandlung zu haben, wenn man sich ansteckt. Damit zum Beispiel der Verlauf der Krankheit nicht so schlimm ist.

Wir haben früher die USA angesprochen, und wie Präsident Donald Trump mit der Pandemie umgeht. Glaubst du, dass er wiedergewählt wird?

Nein, er wird sicher nicht wiedergewählt. Er hat in seiner Regierungszeit so viel wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Das Volk tut mir echt leid. Die armen Leute haben nicht einmal medizinische Versorgung, weil sie sich die Behandlung beim Arzt nicht leisten können. Deshalb ist die Todesrate auch so hoch. Nein, Trump wird nicht wiedergewählt.

Was willst du als Erstes machen, wenn die Krise vorbei ist und alles wieder erlaubt sein wird?

Ich werde mit der Familie ans Meer fahren und Urlaub machen, wenn ich wieder alle Freiheiten genießen kann, überall hingehen und Kontakte haben darf. Das hat mir sehr gefehlt: Mit Freunden auf ein Bier gehen. Ich hole mir meinen Alltag zurück.

Glaubst du, dass aus der Krise allgemein etwas Positives entstehen wird?

Die Natur wird sich erholen, das ist schön! Die Natur kämpft sich immer zurück. Durch weniger Flieger haben wir jetzt eine bessere Luft.

Die Menschen werden sich nicht ändern?

Nein, die Menschen werden die gleichen Dinge machen wie vor der Krise.

Ich danke dir für das Gespräch.

Erkenntnis des Tages: Es ist wichtig, verschiedene Meinungen zu einem Thema einzuholen. Eine Unterhaltung mit Leuten, die viel herumkommen, bringt mehr als die immer gleiche Internetseite.

 Zitat des Tages: „Mr. Chen sperrt am 4. Mai wieder auf.“ – „Schade, ich hätte so gerne eine Suppe gehabt!“ (Mein Dialog mit einem Mann, nachdem dieser an der Tür zum Lokal gerüttelt hatte.)

 Song des Tages: A Love Before Time (Aus China kommen nicht nur feine Speisen, auch sehr märchenhaft anmutende Filme über fernöstliche Kampfkunst. Einer der schönsten ist „Tiger And Dragon“, Gewinner von vier Oscars. Hier singt CoCo Lee das Titellied.)
https://www.youtube.com/watch?v=uWJsEUhpqkA

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Salzburg Festung

 

27. April 2020: Bald ist es soweit!

Wenn der Gesundheitsminister spricht, hängt eine ganze Nation an seinen Lippen. Das hat es vor Señora Corona nicht gegeben, und wird nachher hoffentlich nie mehr nötig sein. Aber dass Rudolf Anschober zum Star des Ministerrates avancierte, hat er sich redlich verdient. Kein Geschrei, keine Verharmlosung; mit klarer und ruhiger Sachlichkeit hat er den Weg vorgegeben, der unser Land vor großem gesundheitlichem Schaden bewahrt und sohin viel menschliches Leid verhindert hat. Auch Herrn Anschober gelingt nicht alles, auch ihm unterlaufen Fehler; diese gestehe ich ihm wie allen Menschen zu, die unter gewaltigem Druck derart schwere und weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Wir durchleben eine völlig neue Learning-by-doing-Phase, auch die Regierung. Wer hier mit Steinen wirft, muss ohne Sünde sein – oder in Opposition.

Die Minister waren daher sichtlich erfreut, gute Neuigkeiten verkünden zu können. Restaurants und auch Hotels werden bald wieder öffnen! Da habe ich natürlich gleich den KB gefragt, wohin er fahren möchte.

Aber mein lieber HG, das weißt du doch selbst am allerbesten Nach Salzburg natürlich! Wir grasen sämtliche Kaffeehäuser ab und wärmen alte Geschichten auf!

Genau! Wie diese hier.

Handyterror im Gastgarten

Selten muss der Kernölbotschafter seine Berichte mit harschen Worten übertiteln. Es sei jedoch versichert, dass ich mich in diesem Fall aufgrund versuchter Verharmlosung sogar noch zurückgehalten habe. Bevor ich aber zur Beweisführung mittels eines Erlebnisses aus kürzester Vergangenheit antrete, muss ich eine allgemeine Einleitung loswerden.

Ich liebe die Zeit, in der ich lebe. Schnelles Internet, schneller Fußball, schnelles Vergessen der aktuellen Hits auf Ö3, deren schamlose Schöpfer von meinen Musikheroen aus den 80ern und 90ern mit Leichtigkeit zum Frühstück verspeist werden. Weiters möchte ich trotz aller Fragwürdigkeiten in keinem anderen Land zuhause sein. Ein kurzer Blick in die Zeitung beschenkt mich stets mit einem langen Gefühl der Dankbarkeit, in Österreich leben zu dürfen.

Doch auch bei uns war früher manches besser. Nicht nur das Wurstbrot, dessen Zubereitung und Verzehr vom verehrten Kollegen Jochen Malmsheimer so unvergleichlich dargestellt wird. Der Genuss dieser schlichten wie vorzüglichen Speise in einem heimischen Gastgarten gestaltete sich in vergangener Zeit um vieles angenehmer. Heutzutage geschieht es immer öfter, dass dem Genusswilligen selbiger vergällt oder gar gänzlich unmöglich gemacht wird.

Nach getanem Tagwerk zog mich der schöne Sommerabend neulich in die Salzburger Altstadt. Mithilfe eines magischen Schlüssels und des Zauberspruchs „Sesam, senke dich!“ überwand ich den Poller auf dem Mozartplatz und steuerte nach erfolgreicher Verparkung meines Wagens zu Fuß das MozARTs an, dessen nach Westen gerichtete Terrasse für einen abendlichen Besuch wie geschaffen ist. Mein Blick schweifte von der Mozartstatue zur Michaelskirche, dann weiter zur Alten Residenz und zum Dom, schließlich hinauf zur Festung. Wenn das Paradies mit diesem Ambiente mithalten will, muss es sich schon sehr anstrengen. Nur so ein Gedanke …

Ich ließ mich inmitten der zahlreichen Gäste an einem Tisch nieder und bestellte nach einem kurzen Blick in die Karte einen griechischen Salat, der leider nicht besonders gut mit dem bereits servierten Zitronenradler harmonierte. Soviel zur Unart von 99,9% aller Kellnerinnen und Kellner, bei der ersten Runde nur nach den Getränken zu fragen. Der Salat selbst war ohne Fehl und Tadel, was an dieser Stelle als – leider letzter – Pluspunkt erwähnt werden soll.

„Wo bist denn? Bist schon unterwegs? Am Residenzplatz? Komisch, ich seh‘ dich gar net! Ah, jetzt seh‘ ich dich! Na dann, bis gleich!“

Dieser erste Anschlag auf mein paradiesisches Glück fand feige hinter meinem Rücken statt, sodass ich es nicht mehr schaffte, wegzuhören. Die angerufene Person war natürlich längst in Sichtweite und sohin innerhalb weniger Sekunden am Tisch hinter mir angelangt.

Zu meiner Rechten ließen sich gleich darauf ächzend zwei – naja, gut gebaute – ältere Damen nieder. Bevor die beiden miteinander ein Wort wechselten oder die Sitzgelegenheit der einen sich mittels Knacken über den ungewohnt hohen Ballast beschweren konnte, langte sie in ihre voluminöse Umhängetasche und sagte: „Wart mit deinen Neuigkeiten. Ich muss schauen, wer mich gerade angerufen hat.“

Da blieb ihrer Begleiterin nichts anderes übrig, als ihr eigenes Handy auf entgangene Anrufe zu überprüfen. Ihrem Gesicht konnte ich deutlich ansehen, um wie viel lieber sie ihre Geschichte gleich erzählt hätte. Aber es gibt eben Prioritäten.

Das Pärchen am Tisch schräg rechts vor mir – den Lauten bei ihrer Bestellung zufolge englischsprachig – redete gar nicht. Beide starrten auf die Displays ihrer Smartphones, bis sie ihren Freund mit dem Unterarm anstieß, offenbar, um ihm etwas Tolles auf ihrem Gerät zu zeigen. Er wollte jedoch lieber auf sein eigenes Teil schauen und ignorierte ihr Streben nach digitaler Aufmerksamkeit, was sie auch anstellte.

Schreib ihm eine SMS, wollte ich der schönen jungen Frau zurufen, die liest er bestimmt sofort! Ich hielt mich aber zurück, weil ich andernfalls ein paar weitere Ratschläge wohl kaum hätte zurückhalten können: Ihr zwei macht eine Reise in eine der schönsten Städte der Welt und habt an einem so herrlichen Abend nichts anderes im Sinn als eure Smartphones? Schaut euch um und einander in die Augen. Dann wird alles andere ein bisschen weniger wichtig.

Vielleicht hätte ich es wirklich laut sagen sollen, meinetwegen auch auf Englisch. Um meiner eigenen Seele willen, die sich längst vom Paradies abgewandt hatte und gefährlich schnell in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war.

Als ich mich nach dem Kellner umschaute um zu bezahlen – der griechische Salat hatte plötzlich jeden Geschmack verloren –, fiel mein Blick auf eine vierköpfige Familie. Die offensichtliche Freude der Eltern an ihrem gemeinsamen Hiersein vermochten die Kinder nicht zu teilen. Die Tochter las ein eBook auf ihrem Tablet-PC, der Sohn spielte auf seinem Handy.

Möglicherweise ist das heute alles so und ich bin einfach nur mega uncool, weil ich mich nach der Zeit vor diesem Smartphone-IPhone-Webbook-Tablet-PC-Wahnsinn sehne. In meinem Herzen trage ich jedoch eine Szene, die mir immer wieder innere Kraft gibt: Ein gemeinsames Mittagessen mit meiner Familie. Alle reden miteinander, nehmen Anteil, freuen sich an neuen wie alten Geschichten, genießen Gemeinsamkeit. Das war vor dreißig Jahren so, als es noch lange kein Smartphone gab. Und es hat sich bis heute nicht geändert.

Erkenntnis des Tages: Vorfreude ist die schönste Freude. Wir freuen uns auf das Wiedersehen mit unseren Familien und Freunden, auf die ersten Ausflüge, auf den so sehr vermissten Cappuccino im Stammcafé. Bald ist es soweit!

Zitat des Tages: „Was sagst du? Ich verstehe dich kaum! Hier telefonieren alle so laut mit ihren Handys!“ (Dem Mann vom Anfang der oben erzählten Geschichte war auch der letzte Satz vorbehalten. Das beweist wieder einmal, dass der Liebe Gott die kleinen Sünden sofort bestraft.)

Video des Tages: Das Wurstbrot (Früher war nicht alles besser. Aber niemand erklärt besser als Jochen Malmsheimer, was früher doch besser war!)
https://www.youtube.com/watch?v=rfAYPP8RtVw

Song des Tages: Sound of Silence (Jetzt glauben wir es noch nicht, aber wir werden uns bald wieder auf stille Momente freuen. Hier eine feine Version dieses Klassikers von der A-Cappella-Gruppe Pentatonix.) 
https://www.youtube.com/watch?v=gdVjVtpr55M

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch


Golfplatz Rif

 

26. April 2020: Der ideale Corona-Freizeitzeitvertreib

Bevor morgen unser Zuerst-Jung-dann-Alt-dann-wieder-Jung-und-jetzt-Krisen-Kanzler Sebastian Kurz seine als bedeutend angekündigte Rede an die Nation hält, für die er mit – wie immer gut abgeschmeckten – Kusshänden und nassen Fetzen überhäuft werden wird, möchte ich seinen Stellvertreter vor den Vorhang holen: Werner Kogler, der erste grüne Vizekanzler in der österreichischen Geschichte.

Das bärbeißig-steirische Grün-Urgestein ist bekanntlich nicht nur die Nummer 2 in der Regierung, sondern auch Sportminister. In dieser Eigenschaft war er heute in der ungemein wichtigen Sendung Sport am Sonntag zu Gast und erklärte dem Publikum an den Empfangsgeräten, welche Formen der Ertüchtigung unserer Körper in diesem Sommer erlaubt sein werden und welche nicht.

Für Mannschaftssportarten schaut es schlecht aus; und noch schlechter für Kampfsportler, die üblicherweise im Vollkontakt aufeinander eindreschen. Dabei fliegen nicht nur die Fäuste hin und her – auch die Tröpfchen pflegen einen sehr intensiven Austausch. Sogar der beste Mixed-Martial-Arts-Fighter, der seine Gegner für gewöhnlich in Sekunden platt macht („Der hat gar keine Zeit zum Schwitzen, also gibt es auch keine Tröpfchen!“), muss deshalb einsehen, dass er seine Kunst erst wieder zeigen kann, wenn Señora Corona das Weite gesucht hat.

Bis dahin gilt es also nun, Alternativen zu finden. Und da ist dem Werner Kogler die Königsidee der gesamten bisherigen Pandemie-Krise eingefallen: Golf.

Das mittlerweile zum Breitensport gewordene Ballerlschupfen war früher nur den Betuchteren unter den Erdenbürgern vorbehalten. Dabei vereint es alles, was wir in der aktuellen Situation so dringend benötigen: Bewegung an der frischen Luft, Kontemplation durch die langen Wanderungen von Loch zu Loch, Konzentration beim Putten (das Runde muss ins Runde – dies kann manche schon vor erhöhte cerebrale Herausforderungen stellen!) und vieles mehr. Sogar Hasenfreunde, die dem heuer ausgefallenen Ostereier-Suchen nachtrauern, kommen beim Wo ist das Balli?-Spiel im Rough (Golfersprache für weit weg von dort, wo ich eigentlich hinwollte) voll auf ihre Kosten. Sie sehen, Golf ist der perfekte Freizeitzeitvertreib (habe ich gerade ein neues Wort erfunden?), um weg von der Couch und somit gut durch die restlichen Corona-Monate zu kommen.

Obacht geben sollten nur die schon erwähnten Vollkontakt-Kampfsportler, die vorübergehend auf das edle Spiel der Ladies and Gentlemen umsteigen wollen. Besonders beim Abschlag ist der vorgeschriebene Sicherheitsabstand undbedingt einzuhalten! Andernfalls kann es passieren, dass ein gestählter Kämpfer durch eine zu hastige Ausholbewegung seines Gegners unabsichtlich in sein altes Muster zurückfällt und dem Flight Partner, mit dem er sich im Grunde gepflegt unterhalten wollte, ansatzlos den eigenen Schläger über den Scheitel zieht. Das Spiel wäre leider zu Ende, noch bevor es überhaupt richtig beginnen konnte.

Was zum Abschluss besonders hervorgehoben werden muss: Der Golfsport ist das ideale Für-die-Zeit-nach-der-Krise-brauche-ich-unbedingt-neue-Kontakte-Werkzeug. Am dritten Loch wird man einander vorgestellt, am sechsten Loch erhält man die ersten Tipps (sportlich wie geschäftlich) und am neunten Loch ist man der Duz-Freund des Generaldirektors seines wichtigsten Kunden. Im Clubhaus wird das neue Millionenprojekt ausgiebig begossen und zu guter Letzt in trockene Tücher gewickelt. Donald Trump sagt, bei ihm funktioniert das immer!

Folgen Sie mir nun nach Rif bei Salzburg, wo sich zwei Freunde nach glücklich überstandenem Winter zur Saisoneröffnung im Golfklub treffen.

Servus, Rüdiger! – Grüß dich, Franz!
Schaut so aus, als is’ der ganz
Schlimme Winter nun vorbei
Da hab’ i’ dacht, ich mach’ mich frei
Und fahr’ nach Rif für a paar Schläge
Jaguar aus dem Gehege
Sommerpatscherl g’schwind montiert
Ich hoff’ nur, dass nimmer friert

Am Parkplatz bin i’ gleich erstarrt!
Weißt, wer vor mir einifahrt?
Da Melnhof mit sein’ Maserati!
Da Mateschitz hat an Bugati!
Ja, altes Holz und süße Safterl
Ich hab’ g’wusst, i’ brauch a Achterl
An der neuen Clubhaus-Bar
Was sag’ ich – alle war’n sie da

Wo is’ die Gattin, die Brunhilde?
Is’ das Klima ihr zu milde? -
Die hat Falten um die Augen
Noch vom letzten Fettabsaugen
Darum meidet’s die Gesellschaft
Bis die Sach’ is’ aus der Welt g’schafft -
B’stell ihr bitte meine  Grüße
Ich muss wirklich auf die Wiese

Na dann, spiel’ ma eine Runde? -
Spinnst? Ich hab’ doch nur a Stunde
Zeit! Des reicht, dass man mein G’sicht
Hier in dieser Runde siecht
Außerdem gibt’s heut’ ein Essen
Darauf hätt’ ich fast vergessen
Mit dem jungen Herrn BK
Also pfiat di’, tschau, baba!

 Aus „Liebe und andere Katastrophen“
Weishaupt Verlag, Gnas 2009

Erkenntnis des Tages: Bewegung im Freien hält fit, und wenn man dabei auch noch nach einem Ball schlagen kann, werden überschüssige Energien abgebaut. Finden Sie eine Sportart, die zu Ihnen passt, durchführbar ist und Spaß macht.

Zitat des Tages: „Golf ist ein schöner Spaziergang, der einem verdorben wird.“ (Wer Mark Twains Meinung über diesen Sport anhängt, lässt die Schläger besser zuhause und geht nur spazieren.)

Song des Tages: Shitty Golfer (Der amerikanische Country-Star Toby Keith ist zweifellos froh darüber, sich für die Musik als Broterwerb entschieden zu haben.)
https://www.youtube.com/watch?v=hEwnd1wbE-M

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

Lagerhaus

 

25. April 2020: Ein komischer Kreisverkehr

Tut mir echt leid, ich muss mich schon wieder aufregen! Aber nach fast eineinhalb Monaten wissen Sie eh schon, was ich für einer bin. Heute hat mir der HG das Kraut so was von ausgeschüttet! Wer diesen Begriff aus dem Salzburgischen nicht kennt: Er bedeutet, von jemandem ziemlich heftig verärgert worden zu sein – wunderschön blumig, wie vieles in unserer alpenrepublikanischen Dialektsprache.

Wie dem HG das gelungen ist, wo ich doch ein wahres Musterbeispiel an steirischem Langmut und fernöstlichem Ooooohhhhhmmmmm bin, werden Sie wissen wollen. (Und wenn nicht, ich sage es  Ihnen trotzdem.) Ganz einfach: Er hat mich viel zu früh aus dem Bett geschmissen! Schon um acht Uhr musste ich mit ihm und seiner Mutter zu einer Erkundungstour in die nahegelegene Metropole Studenzen aufbrechen.

Fahr doch ohne mich, lass mich schlafen!, habe ich ihn angefleht. Was willst du überhaupt in der Pampa, wo sich eh nur Kühe und Schweine Gute Nacht sagen?

„Wir wollen nachhaltiger leben, deshalb schauen wir uns den Bauernmarkt dort an.“ HG hat meine Bitte nicht einmal ignoriert und mir dann auch noch völlig kaltherzig die Bettdecke weggezogen. „Und du schaust, ob du unterwegs eine Geschichte fürs Tagebuch aufschnappst.“

Na super! Ob auch ich nachhaltig leben will, stand nicht zur Diskussion. Jetzt frage ich Sie: Wenn das nicht komplett unter Kraut ausschütten firmiert, was dann?

 Zugegeben, am Anfang war es recht gemütlich. HGs Mutter hat in Berndorf (nur eine Straße mit ein paar Häusern – ich sage Ihnen, die Pampa beginnt nicht weit hinter Feldbach!) Balkonblumen gekauft, da konnte ich wenigstens auf der Rückbank seines Golf weiterbüseln, auch wenn es recht eng ist. Wenn der HG und ich wieder auf ausgedehnte Recherchetouren gehen, sitze ich zum Glück vorne – Fingers crossed, dass er noch lange ohne bessere Hälfte unterwegs ist. (Moment … ich bin seine bessere Hälfte! Also null Problemo, alles roger, Roger!)

Aber dann ging es los. Der Bauernmarkt in Studenzen, wo ist der überhaupt? Am Parkplatz vor dem Spar, wie HG vermutet hatte, keine Spur davon, nur Parkplatz. HG fuhr noch in zwei andere Richtungen, ohne gescheiter zu werden, ich streute von der Rückbank ein paar übertriebene Seufzer ein, um ihn zu ärgern – irgendwie muss ich mich ja unterhalten.

HGs Mutter hatte schließlich die gescheiteste Idee: Zurück zum Spar und dort jemanden fragen; wo viele Autos stehen, rennen bekanntlich viele Leute herum. Für ihr fortgeschrittenes Alter (das ich hier nicht nennen darf, sonst sperrt sie mich in die Kellerwerkstatt!) hat die Dame echt noch einen fitten Kopf und fitte Knochen. Na jedenfalls, schon die erste Hausfrau, die sie fragte (und deren Frisur, nebenbei bemerkt, den 2. Mai um vieles dringender erwartete als ihre Figur die nächste Portion fette Käsekrainer!), freute sich, uns weiterhelfen zu dürfen.

„Do foan’S beim Kreisverkehr Richtung Födboch. Daunn kummt no’ a Kreisverkehr, a komischer, duat miassn’S links obiagn. Daunn kummt des Gosthaus Wagenhofer, des kennan’S sicher, durt is’ da Bauernmoakt.“

Wir bedankten uns artig und waren zu dritt gespannt auf den „komischen Kreisverkehr“. Dieser entpuppte sich nach ein paar hundert Metern als kreuznormale Abbiegespur nach links, aber solange die Frau nicht nur vom Friseur, sondern auch aus einem echten Kreisverkehr wieder nach Hause findet (denken Sie an die Geschichte in Oberösterreich!), soll es mir recht sein. Indes, beim Gasthaus Wagenhofer war weit und breit kein Bauernmarkt zu sehen.

„Fahr weiter, vielleicht kommt er noch“, meinte HGs Mutter hoffnungsvoll. Und sie sollte recht behalten. Erst sahen wir den Nachtclub Dolce Vita (der weder süß noch ausgesprochen lebendig wirkte, was natürlich wieder einmal nur mir aufgefallen ist), dann das Lagerhaus (wo zumindest das in der Blumenhandlung nicht vorhanden gewesene Balkonkisterl erhältlich sein dürfte, unser Weg also nicht gänzlich umsonst wäre) und zuletzt, auf einer Wiese gegenüber, drei Holzhütten: Der Studenzener Bauernmarkt war gefunden!

Kleiner Hinweis meinerseits: Hätte HG gleich mich gefragt anstatt eine geografisch völlig überforderte Einheimische, wären wir von Anfang an richtig gefahren. Gegenüber dem berühmten Nachtklub, na klar, habe ich immer gewusst! Wo sollte ein Bauernmarkt denn sonst situiert sein?

Einigermaßen überrascht näherten wir uns dem Parkplatz. Vor dem Lagerhaus und den Markthütten herrschte eindeutig mehr Verkehr als im Dolce Vita! Ständig öffneten sich die automatischen Schiebetüren der Landgenossenschaft und entließen massenhaft Leute mit hoch aufgetürmten Kisten Puntigamer ins Freie. Um Gottes Willen, dachte ich bestürzt, wer sauft denn das alles? In der nächsten Sekunde war das Rätsel gelöst: Die am Land lebenden Südoststeirer sind flexibel! Die horten nicht nur Klopapier, auch Puntigamer Bier steht ganz oben auf der Liste! Klingt fast gleich, und als sämtliche Rollen Cosy extra soft und Co. weg waren, haben sie nicht lange gesudert und sind auf noch vorhandene Ware umgestiegen, die ihnen des Hamsterns wert erschien. Da bleibt nur die Hoffnung, dass der Bundes-Basti und seine Kollegen das allgemeine Feierverbot bald aufheben und sohin viele zünftige Grillereien in und rund um Studenzen steigen können!

Das Grillgut dafür besorgen sie hoffentlich alle beim Bauernmarkt gegenüber, ebenso den Salat und die Radieschen. Ich hatte meine Zweifel, aber die von den Direktvermarktern im beschaulichen Studenzen feilgebotene Ware war allererste Sahne. Der Speck durchzogen, die Eier groß, die Auswahl an Apfelsorten reichhaltig – und das ganz ohne neuseeländisch-südafrikanisch-chilenische Super-Sonder-Aktionsangebote. Dazu knackige Karotten und Strauben zum sofort Reinbeißen. (Vermutlich von der Mutter des Obstbauern in aller Herrgottsfrühe aus dem Backrohr gezaubert – herrlich!) Wer ein bisschen herumschaut, Leute, findet in seiner Nähe alles, was er braucht. Mit dieser kleinen Anstrengung lernen wir zu erkennen, was wirklich gut ist.

Zuhause gab es dann die Straube und Kaffe – halt nur ein kleines Stück für jeden, HG war wie immer knausrig unterwegs. Aber ich glaube, wir werden bald wieder beim Bartlme-Bauern in Studenzen vorbeischauen. Jetzt wissen wir, wo der komische Kreisverkehr ist, also finden wir auch den Bauernmarkt.

Erkenntnis des Tages: Der KB mag übers Landleben lästern, soviel er will – ich empfinde große Dankbarkeit, Teil davon zu sein. Wir haben trotz Quarantäne unsere Gärten, Wiesen und Wälder, die uns sowohl Raum als auch Schutz geben. Im Bezirk Südoststeiermark werden aktuell nur 57 bestätigte Infektionen gezählt, bei mehr als 84.000 Einwohnern. Und wir haben tolle bäuerliche Nahversorger. Dass sie auch nach Señora Coronas Abschied von der Bevölkerung wertgeschätzt werden, kann eine der wichtigsten aus der Krise gewachsenen Lebensverbesserungen sein.

Zitat des Tages: „Guat, dass ma uns den SUV“ – (gesprochen wie geschrieben!) – „kaft hom. Jetzt brauch’ ma ums Bier net zwamol foan.“ (Auch vor dem Lagerhaus Studenzen ist man dankbar.)

Video des Tages: La Dolce Vita (Anita Ekberg und Marcello Mastroianni waren vermutlich nie in Studenzen, wohl aber in Rom. Knisternde Erotik in Schwarzweiß – ein Genuss!)
https://www.youtube.com/watch?v=7_hfZoe9FHE

Song des Tages: Lagerhaus Reggae (Ich konnte mich nicht entscheiden, deshalb heute zwei Links. Der steirische Kabarettist Mike Supancic ist von italienischem Kulturkino so weit weg wie die Erde von der Sonne, aber sein Meisterwerk ist ebenfalls bereits ein Klassiker!
https://www.youtube.com/watch?v=1UK9Vwgua5o

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

Herz SAKünstlerin:Sabine Schilcher-Asen

 

24. April 2020: Das lange Fern-Sein

„Am 1. Mai kann ich endlich wieder zu meinem Freund fahren.“

Anna lässt einen sehnsuchtsvollen Seufzer folgen. Sie ist eine langjährige Bekannte, die drei Meter von mir entfernt und mit Maske in meinem Büro sitzt. Der KB ist heute nicht da, und so kann ich mich in aller Ruhe über ein Thema austauschen, das im Tagebuch bisher keinen Platz fand: Liebende in einer Fernbeziehung, die dank Señora Corona eine gänzlich andere Form von Quarantäne erleben. Anna erzählt von langen Telefonaten, die sich mit Phasen ohne Kontakt abwechseln. Die gab es auch früher, doch waren sie nie von Reflexionen über die Partnerschaft begleitet. Was ist wichtig? Haben wir die Möglichkeit, in Zukunft zusammen zu leben – und wollen wir das überhaupt? Genügt ein „Ich liebe dich“ am Telefon, oder müssen wir es aneinander erleben, erblicken und erspüren?

Ich höre zu, mit einem seltsamen Ziehen in mir. Allein zu leben hat viele Vorteile, doch Annas Warten auf das Wiedersehen mit ihrem Liebsten offenbart eine Freude, die das lange Fern-Sein zu einer für sie beide bald überwundenen Prüfung macht, so ihre Verbindung stärken und vertiefen wird. Singles haben keinen Zugang zu dieser Energie. „Wir haben dafür Freiheit“, sagen sie dann, aber das ist etwas völlig anderes und niemals vergleichbar.

Mögen folgende Gedichte die letzten sieben Tage für alle getrennt Liebenden schöner, erträglicher und auch ideenreicher machen – welches würdet ihr besonders gerne ans andere Ende der Strecke schicken, die unsere kaltherzige Señora Corona zwischen euch gelegt hat?

 Ein Engel

Ein Engel ist vom Himmel gefallen
In meine offenen Arme
Ich hielt ihn fest, erkannte sein Strahlen
Er zog mich sanft in das Warme

Wir reisten gemeinsam an einen Ort
Wo Glück statt Zeit wird gemessen
Ein Kuss, ein Lächeln, ein zärtliches Wort
Ließ die zweite Wahrheit vergessen

Irgendwann später flog er davon
Freiheit beschützt seinen Segen
Ein wenig Goldstaub blieb mir zum Lohn
Die Spur ins Licht will ich legen

Auf deiner Seite

Auf deiner Seite des Bettes
Bist du immer ein bisschen da
Im Geruch deines Polsters
In der durchwühlten Decke

Auf deiner Seite des Bettes
Sehe ich wache, kluge Augen
Tore des herzlichen Willkommens
Zu deinem tiefgründigen Wesen

Auf deiner Seite des Bettes
Schlägt ein Herz noch lange weiter
Ohne Heute, Morgen, Gestern
Mein stilles Glück, fern aller Zeit

Above The Clouds

As the sunlight starts to dimm
And I know you far away
I turn all my senses in
Dreaming of another day

I go back in time and place
When you fell before my eye
What a sudden happiness
I was free to touch the sky

I’ll return to Italy
In my little village south
If it’s just a memory
See you there above the clouds

Angst um dich

Du gehst über die Straße
Ich habe Angst um dich
Nur Worte bleiben zurück
Wenn du mich verlässt

Du bist wieder bei mir
Und meine Angst wird größer
Vielleicht ist das der Grund
Warum ich so glücklich bin

Ewig und neu

Komm zu mir heut’ Nacht
Flüstert er leis’
Ich halt’ für dich Wacht
Mein Herz um dich weiß

Bleib’ bei mir heut’ Nacht
Wünscht sie sich still
Zum Geschenk wird gemacht
Was Gott geben will

Die Welt ruht heut’ Nacht
In den Armen der zwei
Erstrahlt von der Pracht
So ewig und neu

Song des Tages:I Drove All Night (Der selige Roy Orbison wusste es: Wer noch keine ganze Nacht zu seinem Herzensmenschen durchgefahren ist, hat wohl bisher wohl niemals wirklich geliebt.) https://www.youtube.com/watch?v=m5N9IHqqGcA

 Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

Mopedauto

23. April 2020: Was heißt hier Risikogruppe?

Jo hallo, hier ist der Kernölbotschafter. Ich habe meine Frühjahrsmüdigkeit überwunden und neue Energie getankt. Genug Energie, dass ich mich schon wieder so richtig aufregen kann. Da muss der HG gar nicht dabei sein – es reicht, mir ein klitzekleines Reizwörtchen hinzuwerfen: Risikogruppe!

Verstehen Sie mich nicht falsch:  Ich finde es höchst bedauernswert, dass die böse Señora Corona in Alters- und Pflegeheimen so viele Opfer gefunden hat; ausgerechnet bei denen, die oft Enormes in ihrem Leben geleistet und nun einen ruhigen, zufriedenen Lebensabend verdient haben. (Oder gehabt hätten? – Nie ist Oberlehrer HG da, wenn ich ihn einmal brauche!) Das Risiko sehe ich aber nicht im fortgeschrittenen Alter der Damen und Herren dort, sondern in der meist notwendigen körperlichen Nähe zu den Pflegerinnen. Und, mit Verlaub, in ihrer Sturheit (der betagten Leute, nicht der Pflegerinnen – irgendwie bin ich doch noch immer ein bisschen neben der Spur). Damit meine ich vor allem die fitten, agilen Seniorinnen und Senioren; die Generation Siebzig plus aktiv, oder wie sie sich selbst gerne nennen. Viele von denen glauben, sie können noch alles genau gleich wie damals, als sie noch springlebendige Bubis und Mädis waren. Wenn man ihnen aber sagt: „Opa/Oma, was du vorhast, funktioniert vielleicht nicht mehr ganz so gut wie früher“, werden sie böse und erwidern trotzig: „Das habe ich mein ganzes Leben lang auf diese Art gemacht. Warum sollte es jetzt anders sein?“ Sodann schreiten sie zur Tat und springen samt Anlauf, Absprung und beiden Beinen in das mit Achtung – Risikogruppe! beschriftete Loch.

Beispiele gefällig? Schauen Sie einfach in die Chronik-Seiten Ihres bevorzugten tagesaktuellen Druckwerkes oder auf ebendiese Internetabteilung des rotweißroten Staatsfunks. Welch eine Fundgrube von „Ich kann es aber noch!“-Blödheiten!

Heute verwechselte im schönen Oberösterreich eine 85jährige Dame (!) mit ihrem Mopedauto (!!) in einem Kreisverkehr die Ausfahrt und geriet dadurch auf die Mühlviertler Schnellstraße (!!!), die bekanntermaßen zum hochrangigen Straßennetz zählt und deshalb für Buschenschankmercedes verbotenes Terrain darstellt. Ob die Pilotin das wusste, war nicht Gegenstand der Meldung, wohl aber ihr weiteres Verhalten. Bald muss ihr die Fahrbahn ungewohnt erschienen sein, also befragte sie das im Kleinstwagen verbaute und von ihrem Autoclub Mobil mit 80+ gesponserte Navi. Leider hatte die Dame auch nicht die richtige Brille dabei und verwechselte daher den Befehl Sofort von der Schnellstraße abfahren! mit der Anweisung Wenn möglich, bitte jetzt wenden! Sie machte tatsächlich mitten auf der Fahrbahn kehrt und fuhr mit dem falschen Auto auf der falschen Straße in die falsche Richtung, und das beinahe zwei Kilometer weit! Dann kam sie zu einem Tunnel, der ihr nicht geheuer war, also drehte sie noch einmal um. Dies beendete wohl die Geisterfahrt, nicht aber Gefahr und Gesetzesübertretung. Nach diesem zweiten Mopedauto-testet-Schnellstraße-Richtungswechsel griffen schließlich Mitarbeiter der ASFinAG ins Geschehen ein. Sie stoppten die rasante Seniorin und leiteten sie von der Fahrbahn ab. Niemand kam zu Schaden – der Liebe Gott schaut nicht nur auf Narren und kleine Kinder, sondern auch auf die Kombination aus beiden. Genau die wissen das und fürchten sich deshalb nicht vor Señora Corona.

Wobei: Manchmal wäre ein bisserl Angst vor ihr nicht unbedingt schlecht, denn nicht immer enden Geschichten wie im Märchen mit Und sie fuhr mit ihrem Mopedauto glücklich und zufrieden bis ans Lebensende. In Tirol führte das „Ich kann es noch!“-Mantra eines Bauern zu einem tödlichen Unfall, der mit ein bisschen Respekt vor der Gefahr und einer realistischen Einschätzung eigener, im höheren Alter verminderter Fähigkeiten vielleicht hätte verhindert werden können. Dann wäre der Mann möglicherweise nicht wie jedes Frühjahr allein in den Wald gegangen, um einen Baum zu fällen, „der eh schon längst weggehört.“ Oder er hätte einen Sohn, einen Freund, einen Holzknecht mitgenommen, der ihn vor dem herabstürzenden Wipfel hätte warnen können.

Die Häufigkeit solcher Tragödien beweist, dass „Ich kann es noch“-Menschen wohl Einzelgänger sind, mit ihrem Egoismus aber eine große Risikogruppe bilden. Ein weiterer Dauergast ist der klassische Mann, der nicht zum Arzt geht, wenn er Schmerzen hat. Ein längst fälliger Besuch beim Doktor wird entweder so lange hinausgezögert, bis er es vor lauter Weh nicht mehr aushält – oder  gleich in der Notaufnahme, vielleicht gar auf dem Operationstisch der allerletzten Chance landet. Checken Sie in Gedanken Ihren Freundeskreis: Der alte KB ist sicher, es fallen Ihnen mindestens so viele passende Namen dazu ein, wie Ihr linker Fuß Zehen hat. (Man muss nicht immer sofort die naheliegendste Metapher verwenden, isn’t it?)

Ein Sonderfall unter den Risikogrupplern ist der alte Herr vom HG. Er weigert sich beharrlich, die Señora kennenzulernen, ist sogar überzeugt, dass sie nur in der Einbildung aller anderen existiert. Nachfolgender Dialog zwischen ihm und HG legt davon ein beredtes Zeugnis ab.

„Warum hat denn kein Café offen?“

„Wegen der Corona-Krise, Papa.“

„Ah geh! Wegen dem Corona soll es keinen Kaffee mehr geben? Wer sagt das?“

„Die Bundesregierung, Papa.“

„Was geht die Bundesregierung mein Kaffee an?“

„Die Ansteckungsgefahr ist das Problem.“

„Dann bleiben wir halt wegen der Corona zuhause, ist eh viel gescheiter. Sag Mutti, sie soll einen Kaffee machen.“

Diese Gespräche, so hat mir HG versichert, wiederholen sich mehrmals täglich . Aber er nimmt es locker, und ich muss ihm – selten, aber doch – beipflichten. Wer Señora Corona für nicht existent oder ein Hirngespinst hält, kann sich auch nicht davor fürchten. Wenn diese Leute trotzdem daheim bleiben, sei ihnen ihre Überzeugung von Herzen gegönnt.

Erkenntnis des Tages: Der „Ich kann es noch!“-Glaubenssatz ist von dem Tag an zu überdenken, wo er nicht mehr der Realität entspricht. Für Anhänger dieses egoistischen Mantras mag es eine harte Lehre sein, doch es gibt drei andere Worte, mit denen sie kein Gramm Würde, Selbstwert oder Stolz einbüßen und im Kreise ihrer Lieben weiterleben können: „Bitte hilf mir.“

Zitat des Tages: „Die betagte Dame hatte großes Glück. Sie fuhr genau in einem abgesperrten Baustellenbereich in die falsche Richtung, wo ohnehin kein Verkehr war.“ (Ein Mitarbeiter der ASFinAG erläutert nach der Geisterfahrt in Oberösterreich die Arbeit des Schutzengels.)

Song des Tages: Working The Highway (Der Boss weiß es: Baustellen auf der Autobahn sind nicht immer schlecht. PS: Wer Bruce Springsteen mag, MUSS ihn unbedingt einmal live erleben!) https://www.youtube.com/watch?v=gpDyrXiMWqM

Feder

 

Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

CoverDerKernoelbotschafter

 

22. April 2020: Wie der KB seinen Namen erhielt

Immer wieder fragen mich Leserinnen und Leser des Corona-Tagebuchs, wie der Kernölbotschafter zu seinem Namen gekommen ist. Diese Geschichte ist schnell erzählt. Als meine Freude am humorigen Schreiben stetig zunahm und damit auch die Zahl der im Computer gespeicherten Satiren, war ich auf der Suche nach einem Buchtitel für die erste Sammlung. Mein Favorit: Ein Steirer in Salzburg, gleichlautend mit der Überschrift des ersten ironischen Textes. Klar, einfach, das Thema sofort für alle sichtbar – so gefiel es dem Industrie-Controller, der ich damals war.

„Das ist doch viel zu bieder!“, wies mich mein bester Freund, der Kabarettist Martin Kosch, ohne Federlesens zurecht. „Du brauchst etwas Knackiges, das neugierig macht. Und das trotzdem den Inhalt so vermittelt, wie du es willst.“ Er trommelte mit den Fingern auf den Küchentisch. „Also Brainstorming: Was ist typisch für deine steirische Gegend? Das Kürbiskernöl, euer schwarzes Gold, richtig? Wie wäre es dann mit Der Kernöl-Poet?“

„Das klingt nach schlimmster Heimatdichtung, nein danke“, lehnte ich ab.

„Der Kernöl-Humorist, kernölige Pointen, …“, sinnierte Martin weiter, und meine ursprüngliche Idee wurde mir immer sympathischer. Da stand er auf einmal so heftig auf, dass sein Stuhl nach hinten umfiel, und rief: „Ich hab’s! Dein Buch heißt Der Kernölbotschafter! Da ist alles drin!“

Wir probierten noch ein paar andere Ideen aus, doch es war wie bei einer Krawatte, die man auf den ersten Blick haben will und auch nach dem zweiten Blick auf das Preisschild nicht mehr aus der Hand legen kann. Und so blieb es dabei.

Viele Leute fragten zwar nach einer flüssigen Kostprobe, nachdem sie die Werbung auf meinem roten Golf sahen, aber auch das war eine wunderbare Gelegenheit, um ins Gespräch über Literatur im Allgemeinen und Satire im Besonderen zu kommen. Sohin war der Kernölbotschafter geboren und machte sich fern der Heimat einen Namen als pointierter Schreiberling.

Als nach beinahe zwanzig Jahren die Botschafterresidenz in Salzburg geschlossen wurde, durfte der KB seinen Titel behalten. Ein paar Monate lang kiefelte er an der Sehnsucht nach dem Café Classic, dem Tomaselli und dem Mozart, wo er immer die besten Geschichten aufgeschnappt hatte. Dann erhielt er jedoch den Auftrag, einen Text zum Thema Heimat zu schreiben. Weil er seriös sein sollte, gab er diesen freimütig an mich weiter – und zu meiner eigenen Überraschung erkannte ich, dass die Rückkehr an den Ort meiner Kindheit mehr Facetten hat als ein deprimiertes Ich möchte viel lieber woanders sein!

Alte Heimat – neues Zuhause

Das erste offizielle Begrüßungsschreiben anlässlich meiner Rückkehr in die Südoststeiermark ist ein Strafzettel. Auf der letzten Übersiedlungsfahrt von Salzburg nach Feldbach blitzt mich das hinterhältige Doppelradar an der Ortseinfahrt von St. Margareten an der Raab mit 88 km/h. Das sind 38 zu viel, die Strafe beträgt satte 110 Euro. Als ich mir die Stelle bei Tag besehe, erschließt sich mir sofort die halbe, typisch österreichische Lösung: Jenseits einer Straße, die einst als Ortsumfahrung gebaut worden war, wurde später ein Gewerbepark angelegt, jedoch ohne die zugehörige Verkehrslösung. Sohin müssen die Ortsbewohner jedes Mal eine stark frequentierte Straße queren, wenn sie dort einkaufen oder etwas anderes erledigen wollen. Unfälle waren die tragische wie logische Folge, und der Behörde fiel nichts Besseres ein, als den rasch installierten 50er mit gleich zwei ständig scharfen Radarboxen rigoros zu überwachen. Dies bestätigt auch der zuständige Beamte im Verkehrsreferat auf meine Frage, ob mit dem eingenommenen Geld irgendwann der längst fällige Kreisverkehr gebaut wird: „Ja, genau.“ Viel hat sich also nicht geändert in den zwanzig Jahren …

Falsch, ganz falsch. Schon am nächsten Vormittag erkenne ich, dass ich vielleicht an ein altes Flussbett zurückgekehrt bin; die Wasser darin aber sind frisch und neu.

Ich stehe im Bürgerservice der Stadt, um mich als Einwohner von Feldbach registrieren zu lassen, und staune über die hellen, einladenden Räume am neuen Standort. Die freundliche Umgebung scheint direkt auf die dort tätigen Menschen abzufärben: Es herrscht eine gelöste, heitere Stimmung. Kurz blitzt in meinem Kopf eine Örtlichkeit der Vergangenheit auf, die mit Amtsstube eine sprachlich unzulässige Behübschung erfahren hatte. Zeig mir, wo du arbeitest, und ich sage dir, wer du bist.

Wieder in den Straßen unterwegs, spüre ich auch dort dieses Gefühl des Aufbruchs und der Frische. Die Menschen begegnen einander herzlicher, offener als früher. Die Gespräche in den Cafés versprühen mehr Energie, in den Geschäften spricht aus jungen Gesichtern ehrliches Interesse an Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft.

Es scheint, als habe die Stadt durch den Zuwachs von sechs Umlandgemeinden auch an Selbstbewusstsein gewonnen. Ich bin wieder wer – als fünftgrößte Stadt der Steiermark braucht sich Feldbach nicht mehr zu verstecken hinter Fürstenfeld oder Gleisdorf, wo sich in den vergangenen Jahren so viel getan hat. An den Veranstaltungen, Initiativen und für die Zukunft geplanten Vorhaben im gesamten Stadtgebiet lässt sich ablesen, dass die Herausforderungen erkannt und angenommen wurden. Überall ist dieser positive Zugang sichtbar und wird von allen, die offen sind und sich begeistern lassen, gerne mitgetragen.

Auf einmal fühle ich die Vorfreude, meine alte Heimat neu kennenzulernen, sie wieder zu erobern und zum Herzensort meines Lebens zu machen. Diese Stadt wird in meine Geschichten fließen wie Graz, wie das venezianische Feltre, wie Salzburg. Überall habe ich als Schreibender meine Lieblingsplätze, trinke meinen Cappuccino und schnappe Ideen auf. So habe ich stets etwas gefunden, das der Niederschrift lohnt – wie auch diese Zeilen.

Wer nach beinahe zwanzig Jahren in seine Heimatstadt zurückkommt, nimmt wohl zwangsläufig eine Ambivalenz zwischen dem Gestern und dem Heute wahr. Man sucht Orte der Kindheit auf, etwa die Stelle am Fluss, wohin man sich in der ersten Sehnsucht nach Einsamkeit begeben hat. Dort ist es heute nicht mehr still; ein Spielplatz hat die Ruhe von damals in laute Fröhlichkeit verwandelt. Die Schule, neu renoviert und erweitert, wirkt heller und lebendiger, vielleicht weil ich sie als Gast eines Absolvententreffens besuche, frei von jeder Sorge um eine schlecht verlaufene Lateinschularbeit. Ich schaue alles an, höre zu, verknüpfe meine Erinnerungen an jene Zeit mit den Erfahrungen von jahrelanger Abwesenheit zu einem starken Band, aus dem ich meine Gegenwart gestalten will.

Und so entscheide ich mich dafür, Feldbach und die Südoststeiermark mit dem gleichen Anspruch an mich selbst neu zu erleben, wie ich es mit Salzburg und anderen Orten getan habe: neugierig, aufmerksam, vertrauensvoll. Bei „alten“ Orten ist die Gefahr groß, in ein „ist eh alles gleich, kenn‘ ma schon“ zu verfallen. Dabei vergisst man die Bedeutung des Blickwinkels: Wer mit alten Augen und nur durch Erinnerungsbrillen um sich schaut, wird nichts Neues erkennen. Sind aber die Augen das Eingangstor zur Wahrnehmung, kann die Freude an positiven Veränderungen tief empfunden werden.

Wenn wir unsere Neugier bewahren, finden wir überall einen Grund zum Staunen: über unsere Lebendigkeit, unsere Fähigkeit zu wachsen und zu lernen durch Begegnungen, die im Gestern gleich wertvoll sein werden wie im Jetzt. So finde ich ein neues Zuhause in meiner alten Heimat.

Erkenntnis des Tages: Das Leben hält unzählige Geschenke für uns Menschen bereit. Eines davon ist die Neugier auf Entdeckungen. Oft finden sich diese an unscheinbaren, längst gekannt geglaubten Orten. Sie werden übersehen, weil viele schon verlernt haben, genau hinzuschauen.

Zitat des Tages: „Wie geht es Ihnen mit der Corona-Krise?“ – „Ach wissen Sie, man wurschtelt sich halt so durch.“ (Auch am Friedhof gibt es nur ein Thema – doch hier ist alles wie immer.)

Song des Tages: Take Me Home, Country Road (Auf  John Denvers Landstraße hätte es vielleicht kein scharfes Radar gegeben.) https://www.youtube.com/watch?v=IUmnTfsY3hI

Feder

 

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