Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

Lagerhaus

 

25. April 2020: Ein komischer Kreisverkehr

Tut mir echt leid, ich muss mich schon wieder aufregen! Aber nach fast eineinhalb Monaten wissen Sie eh schon, was ich für einer bin. Heute hat mir der HG das Kraut so was von ausgeschüttet! Wer diesen Begriff aus dem Salzburgischen nicht kennt: Er bedeutet, von jemandem ziemlich heftig verärgert worden zu sein – wunderschön blumig, wie vieles in unserer alpenrepublikanischen Dialektsprache.

Wie dem HG das gelungen ist, wo ich doch ein wahres Musterbeispiel an steirischem Langmut und fernöstlichem Ooooohhhhhmmmmm bin, werden Sie wissen wollen. (Und wenn nicht, ich sage es  Ihnen trotzdem.) Ganz einfach: Er hat mich viel zu früh aus dem Bett geschmissen! Schon um acht Uhr musste ich mit ihm und seiner Mutter zu einer Erkundungstour in die nahegelegene Metropole Studenzen aufbrechen.

Fahr doch ohne mich, lass mich schlafen!, habe ich ihn angefleht. Was willst du überhaupt in der Pampa, wo sich eh nur Kühe und Schweine Gute Nacht sagen?

„Wir wollen nachhaltiger leben, deshalb schauen wir uns den Bauernmarkt dort an.“ HG hat meine Bitte nicht einmal ignoriert und mir dann auch noch völlig kaltherzig die Bettdecke weggezogen. „Und du schaust, ob du unterwegs eine Geschichte fürs Tagebuch aufschnappst.“

Na super! Ob auch ich nachhaltig leben will, stand nicht zur Diskussion. Jetzt frage ich Sie: Wenn das nicht komplett unter Kraut ausschütten firmiert, was dann?

 Zugegeben, am Anfang war es recht gemütlich. HGs Mutter hat in Berndorf (nur eine Straße mit ein paar Häusern – ich sage Ihnen, die Pampa beginnt nicht weit hinter Feldbach!) Balkonblumen gekauft, da konnte ich wenigstens auf der Rückbank seines Golf weiterbüseln, auch wenn es recht eng ist. Wenn der HG und ich wieder auf ausgedehnte Recherchetouren gehen, sitze ich zum Glück vorne – Fingers crossed, dass er noch lange ohne bessere Hälfte unterwegs ist. (Moment … ich bin seine bessere Hälfte! Also null Problemo, alles roger, Roger!)

Aber dann ging es los. Der Bauernmarkt in Studenzen, wo ist der überhaupt? Am Parkplatz vor dem Spar, wie HG vermutet hatte, keine Spur davon, nur Parkplatz. HG fuhr noch in zwei andere Richtungen, ohne gescheiter zu werden, ich streute von der Rückbank ein paar übertriebene Seufzer ein, um ihn zu ärgern – irgendwie muss ich mich ja unterhalten.

HGs Mutter hatte schließlich die gescheiteste Idee: Zurück zum Spar und dort jemanden fragen; wo viele Autos stehen, rennen bekanntlich viele Leute herum. Für ihr fortgeschrittenes Alter (das ich hier nicht nennen darf, sonst sperrt sie mich in die Kellerwerkstatt!) hat die Dame echt noch einen fitten Kopf und fitte Knochen. Na jedenfalls, schon die erste Hausfrau, die sie fragte (und deren Frisur, nebenbei bemerkt, den 2. Mai um vieles dringender erwartete als ihre Figur die nächste Portion fette Käsekrainer!), freute sich, uns weiterhelfen zu dürfen.

„Do foan’S beim Kreisverkehr Richtung Födboch. Daunn kummt no’ a Kreisverkehr, a komischer, duat miassn’S links obiagn. Daunn kummt des Gosthaus Wagenhofer, des kennan’S sicher, durt is’ da Bauernmoakt.“

Wir bedankten uns artig und waren zu dritt gespannt auf den „komischen Kreisverkehr“. Dieser entpuppte sich nach ein paar hundert Metern als kreuznormale Abbiegespur nach links, aber solange die Frau nicht nur vom Friseur, sondern auch aus einem echten Kreisverkehr wieder nach Hause findet (denken Sie an die Geschichte in Oberösterreich!), soll es mir recht sein. Indes, beim Gasthaus Wagenhofer war weit und breit kein Bauernmarkt zu sehen.

„Fahr weiter, vielleicht kommt er noch“, meinte HGs Mutter hoffnungsvoll. Und sie sollte recht behalten. Erst sahen wir den Nachtclub Dolce Vita (der weder süß noch ausgesprochen lebendig wirkte, was natürlich wieder einmal nur mir aufgefallen ist), dann das Lagerhaus (wo zumindest das in der Blumenhandlung nicht vorhanden gewesene Balkonkisterl erhältlich sein dürfte, unser Weg also nicht gänzlich umsonst wäre) und zuletzt, auf einer Wiese gegenüber, drei Holzhütten: Der Studenzener Bauernmarkt war gefunden!

Kleiner Hinweis meinerseits: Hätte HG gleich mich gefragt anstatt eine geografisch völlig überforderte Einheimische, wären wir von Anfang an richtig gefahren. Gegenüber dem berühmten Nachtklub, na klar, habe ich immer gewusst! Wo sollte ein Bauernmarkt denn sonst situiert sein?

Einigermaßen überrascht näherten wir uns dem Parkplatz. Vor dem Lagerhaus und den Markthütten herrschte eindeutig mehr Verkehr als im Dolce Vita! Ständig öffneten sich die automatischen Schiebetüren der Landgenossenschaft und entließen massenhaft Leute mit hoch aufgetürmten Kisten Puntigamer ins Freie. Um Gottes Willen, dachte ich bestürzt, wer sauft denn das alles? In der nächsten Sekunde war das Rätsel gelöst: Die am Land lebenden Südoststeirer sind flexibel! Die horten nicht nur Klopapier, auch Puntigamer Bier steht ganz oben auf der Liste! Klingt fast gleich, und als sämtliche Rollen Cosy extra soft und Co. weg waren, haben sie nicht lange gesudert und sind auf noch vorhandene Ware umgestiegen, die ihnen des Hamsterns wert erschien. Da bleibt nur die Hoffnung, dass der Bundes-Basti und seine Kollegen das allgemeine Feierverbot bald aufheben und sohin viele zünftige Grillereien in und rund um Studenzen steigen können!

Das Grillgut dafür besorgen sie hoffentlich alle beim Bauernmarkt gegenüber, ebenso den Salat und die Radieschen. Ich hatte meine Zweifel, aber die von den Direktvermarktern im beschaulichen Studenzen feilgebotene Ware war allererste Sahne. Der Speck durchzogen, die Eier groß, die Auswahl an Apfelsorten reichhaltig – und das ganz ohne neuseeländisch-südafrikanisch-chilenische Super-Sonder-Aktionsangebote. Dazu knackige Karotten und Strauben zum sofort Reinbeißen. (Vermutlich von der Mutter des Obstbauern in aller Herrgottsfrühe aus dem Backrohr gezaubert – herrlich!) Wer ein bisschen herumschaut, Leute, findet in seiner Nähe alles, was er braucht. Mit dieser kleinen Anstrengung lernen wir zu erkennen, was wirklich gut ist.

Zuhause gab es dann die Straube und Kaffe – halt nur ein kleines Stück für jeden, HG war wie immer knausrig unterwegs. Aber ich glaube, wir werden bald wieder beim Bartlme-Bauern in Studenzen vorbeischauen. Jetzt wissen wir, wo der komische Kreisverkehr ist, also finden wir auch den Bauernmarkt.

Erkenntnis des Tages: Der KB mag übers Landleben lästern, soviel er will – ich empfinde große Dankbarkeit, Teil davon zu sein. Wir haben trotz Quarantäne unsere Gärten, Wiesen und Wälder, die uns sowohl Raum als auch Schutz geben. Im Bezirk Südoststeiermark werden aktuell nur 57 bestätigte Infektionen gezählt, bei mehr als 84.000 Einwohnern. Und wir haben tolle bäuerliche Nahversorger. Dass sie auch nach Señora Coronas Abschied von der Bevölkerung wertgeschätzt werden, kann eine der wichtigsten aus der Krise gewachsenen Lebensverbesserungen sein.

Zitat des Tages: „Guat, dass ma uns den SUV“ – (gesprochen wie geschrieben!) – „kaft hom. Jetzt brauch’ ma ums Bier net zwamol foan.“ (Auch vor dem Lagerhaus Studenzen ist man dankbar.)

Video des Tages: La Dolce Vita (Anita Ekberg und Marcello Mastroianni waren vermutlich nie in Studenzen, wohl aber in Rom. Knisternde Erotik in Schwarzweiß – ein Genuss!)
https://www.youtube.com/watch?v=7_hfZoe9FHE

Song des Tages: Lagerhaus Reggae (Ich konnte mich nicht entscheiden, deshalb heute zwei Links. Der steirische Kabarettist Mike Supancic ist von italienischem Kulturkino so weit weg wie die Erde von der Sonne, aber sein Meisterwerk ist ebenfalls bereits ein Klassiker!
https://www.youtube.com/watch?v=1UK9Vwgua5o

Feder

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.