Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

Mopedauto

23. April 2020: Was heißt hier Risikogruppe?

Jo hallo, hier ist der Kernölbotschafter. Ich habe meine Frühjahrsmüdigkeit überwunden und neue Energie getankt. Genug Energie, dass ich mich schon wieder so richtig aufregen kann. Da muss der HG gar nicht dabei sein – es reicht, mir ein klitzekleines Reizwörtchen hinzuwerfen: Risikogruppe!

Verstehen Sie mich nicht falsch:  Ich finde es höchst bedauernswert, dass die böse Señora Corona in Alters- und Pflegeheimen so viele Opfer gefunden hat; ausgerechnet bei denen, die oft Enormes in ihrem Leben geleistet und nun einen ruhigen, zufriedenen Lebensabend verdient haben. (Oder gehabt hätten? – Nie ist Oberlehrer HG da, wenn ich ihn einmal brauche!) Das Risiko sehe ich aber nicht im fortgeschrittenen Alter der Damen und Herren dort, sondern in der meist notwendigen körperlichen Nähe zu den Pflegerinnen. Und, mit Verlaub, in ihrer Sturheit (der betagten Leute, nicht der Pflegerinnen – irgendwie bin ich doch noch immer ein bisschen neben der Spur). Damit meine ich vor allem die fitten, agilen Seniorinnen und Senioren; die Generation Siebzig plus aktiv, oder wie sie sich selbst gerne nennen. Viele von denen glauben, sie können noch alles genau gleich wie damals, als sie noch springlebendige Bubis und Mädis waren. Wenn man ihnen aber sagt: „Opa/Oma, was du vorhast, funktioniert vielleicht nicht mehr ganz so gut wie früher“, werden sie böse und erwidern trotzig: „Das habe ich mein ganzes Leben lang auf diese Art gemacht. Warum sollte es jetzt anders sein?“ Sodann schreiten sie zur Tat und springen samt Anlauf, Absprung und beiden Beinen in das mit Achtung – Risikogruppe! beschriftete Loch.

Beispiele gefällig? Schauen Sie einfach in die Chronik-Seiten Ihres bevorzugten tagesaktuellen Druckwerkes oder auf ebendiese Internetabteilung des rotweißroten Staatsfunks. Welch eine Fundgrube von „Ich kann es aber noch!“-Blödheiten!

Heute verwechselte im schönen Oberösterreich eine 85jährige Dame (!) mit ihrem Mopedauto (!!) in einem Kreisverkehr die Ausfahrt und geriet dadurch auf die Mühlviertler Schnellstraße (!!!), die bekanntermaßen zum hochrangigen Straßennetz zählt und deshalb für Buschenschankmercedes verbotenes Terrain darstellt. Ob die Pilotin das wusste, war nicht Gegenstand der Meldung, wohl aber ihr weiteres Verhalten. Bald muss ihr die Fahrbahn ungewohnt erschienen sein, also befragte sie das im Kleinstwagen verbaute und von ihrem Autoclub Mobil mit 80+ gesponserte Navi. Leider hatte die Dame auch nicht die richtige Brille dabei und verwechselte daher den Befehl Sofort von der Schnellstraße abfahren! mit der Anweisung Wenn möglich, bitte jetzt wenden! Sie machte tatsächlich mitten auf der Fahrbahn kehrt und fuhr mit dem falschen Auto auf der falschen Straße in die falsche Richtung, und das beinahe zwei Kilometer weit! Dann kam sie zu einem Tunnel, der ihr nicht geheuer war, also drehte sie noch einmal um. Dies beendete wohl die Geisterfahrt, nicht aber Gefahr und Gesetzesübertretung. Nach diesem zweiten Mopedauto-testet-Schnellstraße-Richtungswechsel griffen schließlich Mitarbeiter der ASFinAG ins Geschehen ein. Sie stoppten die rasante Seniorin und leiteten sie von der Fahrbahn ab. Niemand kam zu Schaden – der Liebe Gott schaut nicht nur auf Narren und kleine Kinder, sondern auch auf die Kombination aus beiden. Genau die wissen das und fürchten sich deshalb nicht vor Señora Corona.

Wobei: Manchmal wäre ein bisserl Angst vor ihr nicht unbedingt schlecht, denn nicht immer enden Geschichten wie im Märchen mit Und sie fuhr mit ihrem Mopedauto glücklich und zufrieden bis ans Lebensende. In Tirol führte das „Ich kann es noch!“-Mantra eines Bauern zu einem tödlichen Unfall, der mit ein bisschen Respekt vor der Gefahr und einer realistischen Einschätzung eigener, im höheren Alter verminderter Fähigkeiten vielleicht hätte verhindert werden können. Dann wäre der Mann möglicherweise nicht wie jedes Frühjahr allein in den Wald gegangen, um einen Baum zu fällen, „der eh schon längst weggehört.“ Oder er hätte einen Sohn, einen Freund, einen Holzknecht mitgenommen, der ihn vor dem herabstürzenden Wipfel hätte warnen können.

Die Häufigkeit solcher Tragödien beweist, dass „Ich kann es noch“-Menschen wohl Einzelgänger sind, mit ihrem Egoismus aber eine große Risikogruppe bilden. Ein weiterer Dauergast ist der klassische Mann, der nicht zum Arzt geht, wenn er Schmerzen hat. Ein längst fälliger Besuch beim Doktor wird entweder so lange hinausgezögert, bis er es vor lauter Weh nicht mehr aushält – oder  gleich in der Notaufnahme, vielleicht gar auf dem Operationstisch der allerletzten Chance landet. Checken Sie in Gedanken Ihren Freundeskreis: Der alte KB ist sicher, es fallen Ihnen mindestens so viele passende Namen dazu ein, wie Ihr linker Fuß Zehen hat. (Man muss nicht immer sofort die naheliegendste Metapher verwenden, isn’t it?)

Ein Sonderfall unter den Risikogrupplern ist der alte Herr vom HG. Er weigert sich beharrlich, die Señora kennenzulernen, ist sogar überzeugt, dass sie nur in der Einbildung aller anderen existiert. Nachfolgender Dialog zwischen ihm und HG legt davon ein beredtes Zeugnis ab.

„Warum hat denn kein Café offen?“

„Wegen der Corona-Krise, Papa.“

„Ah geh! Wegen dem Corona soll es keinen Kaffee mehr geben? Wer sagt das?“

„Die Bundesregierung, Papa.“

„Was geht die Bundesregierung mein Kaffee an?“

„Die Ansteckungsgefahr ist das Problem.“

„Dann bleiben wir halt wegen der Corona zuhause, ist eh viel gescheiter. Sag Mutti, sie soll einen Kaffee machen.“

Diese Gespräche, so hat mir HG versichert, wiederholen sich mehrmals täglich . Aber er nimmt es locker, und ich muss ihm – selten, aber doch – beipflichten. Wer Señora Corona für nicht existent oder ein Hirngespinst hält, kann sich auch nicht davor fürchten. Wenn diese Leute trotzdem daheim bleiben, sei ihnen ihre Überzeugung von Herzen gegönnt.

Erkenntnis des Tages: Der „Ich kann es noch!“-Glaubenssatz ist von dem Tag an zu überdenken, wo er nicht mehr der Realität entspricht. Für Anhänger dieses egoistischen Mantras mag es eine harte Lehre sein, doch es gibt drei andere Worte, mit denen sie kein Gramm Würde, Selbstwert oder Stolz einbüßen und im Kreise ihrer Lieben weiterleben können: „Bitte hilf mir.“

Zitat des Tages: „Die betagte Dame hatte großes Glück. Sie fuhr genau in einem abgesperrten Baustellenbereich in die falsche Richtung, wo ohnehin kein Verkehr war.“ (Ein Mitarbeiter der ASFinAG erläutert nach der Geisterfahrt in Oberösterreich die Arbeit des Schutzengels.)

Song des Tages: Working The Highway (Der Boss weiß es: Baustellen auf der Autobahn sind nicht immer schlecht. PS: Wer Bruce Springsteen mag, MUSS ihn unbedingt einmal live erleben!) https://www.youtube.com/watch?v=gpDyrXiMWqM

Feder

 

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