Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

CoverDerKernoelbotschafter

 

22. April 2020: Wie der KB seinen Namen erhielt

Immer wieder fragen mich Leserinnen und Leser des Corona-Tagebuchs, wie der Kernölbotschafter zu seinem Namen gekommen ist. Diese Geschichte ist schnell erzählt. Als meine Freude am humorigen Schreiben stetig zunahm und damit auch die Zahl der im Computer gespeicherten Satiren, war ich auf der Suche nach einem Buchtitel für die erste Sammlung. Mein Favorit: Ein Steirer in Salzburg, gleichlautend mit der Überschrift des ersten ironischen Textes. Klar, einfach, das Thema sofort für alle sichtbar – so gefiel es dem Industrie-Controller, der ich damals war.

„Das ist doch viel zu bieder!“, wies mich mein bester Freund, der Kabarettist Martin Kosch, ohne Federlesens zurecht. „Du brauchst etwas Knackiges, das neugierig macht. Und das trotzdem den Inhalt so vermittelt, wie du es willst.“ Er trommelte mit den Fingern auf den Küchentisch. „Also Brainstorming: Was ist typisch für deine steirische Gegend? Das Kürbiskernöl, euer schwarzes Gold, richtig? Wie wäre es dann mit Der Kernöl-Poet?“

„Das klingt nach schlimmster Heimatdichtung, nein danke“, lehnte ich ab.

„Der Kernöl-Humorist, kernölige Pointen, …“, sinnierte Martin weiter, und meine ursprüngliche Idee wurde mir immer sympathischer. Da stand er auf einmal so heftig auf, dass sein Stuhl nach hinten umfiel, und rief: „Ich hab’s! Dein Buch heißt Der Kernölbotschafter! Da ist alles drin!“

Wir probierten noch ein paar andere Ideen aus, doch es war wie bei einer Krawatte, die man auf den ersten Blick haben will und auch nach dem zweiten Blick auf das Preisschild nicht mehr aus der Hand legen kann. Und so blieb es dabei.

Viele Leute fragten zwar nach einer flüssigen Kostprobe, nachdem sie die Werbung auf meinem roten Golf sahen, aber auch das war eine wunderbare Gelegenheit, um ins Gespräch über Literatur im Allgemeinen und Satire im Besonderen zu kommen. Sohin war der Kernölbotschafter geboren und machte sich fern der Heimat einen Namen als pointierter Schreiberling.

Als nach beinahe zwanzig Jahren die Botschafterresidenz in Salzburg geschlossen wurde, durfte der KB seinen Titel behalten. Ein paar Monate lang kiefelte er an der Sehnsucht nach dem Café Classic, dem Tomaselli und dem Mozart, wo er immer die besten Geschichten aufgeschnappt hatte. Dann erhielt er jedoch den Auftrag, einen Text zum Thema Heimat zu schreiben. Weil er seriös sein sollte, gab er diesen freimütig an mich weiter – und zu meiner eigenen Überraschung erkannte ich, dass die Rückkehr an den Ort meiner Kindheit mehr Facetten hat als ein deprimiertes Ich möchte viel lieber woanders sein!

Alte Heimat – neues Zuhause

Das erste offizielle Begrüßungsschreiben anlässlich meiner Rückkehr in die Südoststeiermark ist ein Strafzettel. Auf der letzten Übersiedlungsfahrt von Salzburg nach Feldbach blitzt mich das hinterhältige Doppelradar an der Ortseinfahrt von St. Margareten an der Raab mit 88 km/h. Das sind 38 zu viel, die Strafe beträgt satte 110 Euro. Als ich mir die Stelle bei Tag besehe, erschließt sich mir sofort die halbe, typisch österreichische Lösung: Jenseits einer Straße, die einst als Ortsumfahrung gebaut worden war, wurde später ein Gewerbepark angelegt, jedoch ohne die zugehörige Verkehrslösung. Sohin müssen die Ortsbewohner jedes Mal eine stark frequentierte Straße queren, wenn sie dort einkaufen oder etwas anderes erledigen wollen. Unfälle waren die tragische wie logische Folge, und der Behörde fiel nichts Besseres ein, als den rasch installierten 50er mit gleich zwei ständig scharfen Radarboxen rigoros zu überwachen. Dies bestätigt auch der zuständige Beamte im Verkehrsreferat auf meine Frage, ob mit dem eingenommenen Geld irgendwann der längst fällige Kreisverkehr gebaut wird: „Ja, genau.“ Viel hat sich also nicht geändert in den zwanzig Jahren …

Falsch, ganz falsch. Schon am nächsten Vormittag erkenne ich, dass ich vielleicht an ein altes Flussbett zurückgekehrt bin; die Wasser darin aber sind frisch und neu.

Ich stehe im Bürgerservice der Stadt, um mich als Einwohner von Feldbach registrieren zu lassen, und staune über die hellen, einladenden Räume am neuen Standort. Die freundliche Umgebung scheint direkt auf die dort tätigen Menschen abzufärben: Es herrscht eine gelöste, heitere Stimmung. Kurz blitzt in meinem Kopf eine Örtlichkeit der Vergangenheit auf, die mit Amtsstube eine sprachlich unzulässige Behübschung erfahren hatte. Zeig mir, wo du arbeitest, und ich sage dir, wer du bist.

Wieder in den Straßen unterwegs, spüre ich auch dort dieses Gefühl des Aufbruchs und der Frische. Die Menschen begegnen einander herzlicher, offener als früher. Die Gespräche in den Cafés versprühen mehr Energie, in den Geschäften spricht aus jungen Gesichtern ehrliches Interesse an Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft.

Es scheint, als habe die Stadt durch den Zuwachs von sechs Umlandgemeinden auch an Selbstbewusstsein gewonnen. Ich bin wieder wer – als fünftgrößte Stadt der Steiermark braucht sich Feldbach nicht mehr zu verstecken hinter Fürstenfeld oder Gleisdorf, wo sich in den vergangenen Jahren so viel getan hat. An den Veranstaltungen, Initiativen und für die Zukunft geplanten Vorhaben im gesamten Stadtgebiet lässt sich ablesen, dass die Herausforderungen erkannt und angenommen wurden. Überall ist dieser positive Zugang sichtbar und wird von allen, die offen sind und sich begeistern lassen, gerne mitgetragen.

Auf einmal fühle ich die Vorfreude, meine alte Heimat neu kennenzulernen, sie wieder zu erobern und zum Herzensort meines Lebens zu machen. Diese Stadt wird in meine Geschichten fließen wie Graz, wie das venezianische Feltre, wie Salzburg. Überall habe ich als Schreibender meine Lieblingsplätze, trinke meinen Cappuccino und schnappe Ideen auf. So habe ich stets etwas gefunden, das der Niederschrift lohnt – wie auch diese Zeilen.

Wer nach beinahe zwanzig Jahren in seine Heimatstadt zurückkommt, nimmt wohl zwangsläufig eine Ambivalenz zwischen dem Gestern und dem Heute wahr. Man sucht Orte der Kindheit auf, etwa die Stelle am Fluss, wohin man sich in der ersten Sehnsucht nach Einsamkeit begeben hat. Dort ist es heute nicht mehr still; ein Spielplatz hat die Ruhe von damals in laute Fröhlichkeit verwandelt. Die Schule, neu renoviert und erweitert, wirkt heller und lebendiger, vielleicht weil ich sie als Gast eines Absolvententreffens besuche, frei von jeder Sorge um eine schlecht verlaufene Lateinschularbeit. Ich schaue alles an, höre zu, verknüpfe meine Erinnerungen an jene Zeit mit den Erfahrungen von jahrelanger Abwesenheit zu einem starken Band, aus dem ich meine Gegenwart gestalten will.

Und so entscheide ich mich dafür, Feldbach und die Südoststeiermark mit dem gleichen Anspruch an mich selbst neu zu erleben, wie ich es mit Salzburg und anderen Orten getan habe: neugierig, aufmerksam, vertrauensvoll. Bei „alten“ Orten ist die Gefahr groß, in ein „ist eh alles gleich, kenn‘ ma schon“ zu verfallen. Dabei vergisst man die Bedeutung des Blickwinkels: Wer mit alten Augen und nur durch Erinnerungsbrillen um sich schaut, wird nichts Neues erkennen. Sind aber die Augen das Eingangstor zur Wahrnehmung, kann die Freude an positiven Veränderungen tief empfunden werden.

Wenn wir unsere Neugier bewahren, finden wir überall einen Grund zum Staunen: über unsere Lebendigkeit, unsere Fähigkeit zu wachsen und zu lernen durch Begegnungen, die im Gestern gleich wertvoll sein werden wie im Jetzt. So finde ich ein neues Zuhause in meiner alten Heimat.

Erkenntnis des Tages: Das Leben hält unzählige Geschenke für uns Menschen bereit. Eines davon ist die Neugier auf Entdeckungen. Oft finden sich diese an unscheinbaren, längst gekannt geglaubten Orten. Sie werden übersehen, weil viele schon verlernt haben, genau hinzuschauen.

Zitat des Tages: „Wie geht es Ihnen mit der Corona-Krise?“ – „Ach wissen Sie, man wurschtelt sich halt so durch.“ (Auch am Friedhof gibt es nur ein Thema – doch hier ist alles wie immer.)

Song des Tages: Take Me Home, Country Road (Auf  John Denvers Landstraße hätte es vielleicht kein scharfes Radar gegeben.) https://www.youtube.com/watch?v=IUmnTfsY3hI

Feder

 

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