Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Das etwas andere Tagebuch

KB Maske01

 

21. April 2020: Älter werden

Hey KB, stylische Maske! Abgesehen davon: Weißt du überhaupt, wie spät es ist?

Ich bin heute ein bisserl spät dran, sorry. Laut Alexa ist es 10 vor 5.

Exakt, aber am Nachmittag, nicht in der Früh. Seit wann nimmst du dafür eine Frau zuhilfe?

Seit sie bei mir eingezogen ist. Ist dir klar, HG, warum für diesen Sprachassistenten eine weibliche Stimme gewählt wurde?

Du wirst es mir bestimmt gleich mitteilen, o Kernölbotschafter, Hüter der Weisheit.

Streng deine kleinen grauen Zellen ruhig selbst ein bisschen an – das ist doch klar wie Rindsuppe ohne Frittaten. Weil sie immer zurückredet! Weil sie auf alles eine Antwort hat! Und wenn sie sich einmal nicht auskennt, gibt sie das nicht zu! Stattdessen sagt sie: „Hier ist Musik, die dir gefallen könnte“, und spielt irgendeinen Schrott. Ich sage dir, die Welt steht nimmer lang, Jetzt überholen uns die Damen sogar schon bei der Technik! Wo soll das noch hinführen, bitteschön?

Naja, in der Satire sind wir aber noch vorn.

Du meinst, ich bin vorn. Das kann schon sein, aber sie planen sicher längst den Angriff auf diese unsere letzte Bastion. Wenn wir sie nicht mit allem verteidigen, was wir haben, sind wir geliefert!

So trübe Gedanken heute? Und wenn es gestattet ist, du schaust ziemlich fertig aus. Wie kommt’s?

Ich weiß auch nicht … Das warme Wetter tut mir nicht gut.

Frühlingsgefühle?

Spürt man die in den Knochen? Wenn ja, wäre ich der größte Casanova seit … äh … Casanova. Die Wahrheit ist viel trauriger: Mir tut mein Kreuz so weh, dass ich heute fast nicht aus dem Bett …-

Das ist es, mein lieber KB! Du wirst älter!

Hör auf, HG, du machst mir Angst!

Kein Grund, dich zu fürchten. Weißt du, warum Geburtstage die gerechteste Erfindung aller Zeiten sind? Jeder Mensch kommt einmal im Jahr dran!

Wenn deine Knochen so schwach sind wie deine Pointen, besteht nicht mehr viel Hoffnung!

Und genau deshalb bist du bei mir angestellt, KB. Was ich sagen wollte: Alter ist immer eine Frage der Perspektive. Erinnerst du dich an die beiden Autostopperinnen vor zwanzig Jahren in Rif?

Älter werden

„Mei, des is‘ liab von dir!“, tönten die beiden jungen Damen nahezu gleichzeitig, während sie mit klatschenden Geräuschen meine Rückbank in Beschlag nahmen. Die Kleinere der beiden, welche die Forschere zu sein schien, schloss ihrer freudigen Dankbarkeit gleich eine Aufforderung an: „Du foast eh noch Soizburg?“

„Eigentlich nur bis Rif“, erwiderte ich wahrheitsgetreu, doch es brauchte nicht ihre erschrockenen Gesichter, damit mir einfiel, dass ihnen damit nicht geholfen war. Wenn ich sie in Rif (diesem Dorfanhängsel, das nicht wusste, ob es zu Hallein oder zu Salzburg gehören wollte) absetzte, wäre das keine nette Geste, sondern hinterhältiger, als sie im Halleiner Regen stehen zu lassen. Von dort würden sie kaum weiterkommen.

Doch der Engel, der in jener Nacht auf meiner Schulter saß – und ob der gezeigten Nächstenliebe schon stolz auf mich war –, flüsterte mir bereits eifrig ins Ohr.

Warum bringst du die beiden Mädchen nicht nach Salzburg? Sie waren im Kino oder bei Freunden und haben den letzten Bus versäumt. Ihre Eltern machen sich sicher schon Sorgen.

Es sprach wirklich nichts dagegen, die gute Tat um zehn Kilometer zu verlängern, also reichte ich den Vorschlag des Engels gleich an meine Fahrgäste weiter.

„Mei, super!“, rief die Kleinere so laut, dass ich zusammenzuckte. „Do homma heit a Glück, Manu!“

Nach einer Weile begannen der Arbeitstag und die späte Stunde schwer auf meine Lider zu drücken. Also versuchte ich, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.

„Was macht ihr zwei denn so?“

„Chris studiert, und ich arbeite in Hallein“, erwiderte Manu, und mir fiel auf, dass ihr Dialekt kaum hörbar war. Kaum hatte ich diesen sekundenlangen Gedanken beendet, griff ihre Freundin das Thema auf.

„Von do bist du oba nit“, stellte sie treffsicher fest. „Woher kummst?“

„Aus der Steiermark“, gab ich zurück, ein wenig zerknirscht darüber, dass selbst nach vier Jahren ein einziger Satz genügte, um diesbezüglich Erstaunen auszulösen. Obwohl ich schon viele hiesige Vokabel in meine Umgangssprache eingebaut habe, werde ich immer noch auf frischer Tat ertappt. Chris aber schien mit der erteilten Auskunft zufrieden und verstummte.

„Wo wart ihr heute Abend?“, wechselte ich auch gleich gekonnt und hochdeutsch das Thema, als wir die Stadtgrenze erreichten.

„Bei mir“, ertönte Manus Stimme knapp. Irgendetwas an ihrer Antwort kam mir seltsam vor, doch ich konnte es nicht klar deuten. Als ich mich aber nach dem Ort erkundigte, wo ich sie absetzen sollte – eine informative Formalität gewissermaßen –, wurde mein eigentlich felsengleiches Selbstbewusstsein aus der Bahn geworfen. Nicht von der genannten Stelle, sondern durch die schockartige Aufklärung des Irrtums, welchem ich gemeinsam mit meinem Engel aufgesessen war.

„Wir möchten auf der Staatsbrücke aussteigen.“

„Wie bitte?“ Verstanden hatte ich es schon; trotzdem musste ich es noch einmal hören.

„Na ja, nicht direkt auf der Staatsbrücke“, setzte Manu nachsichtig hinzu. „Irgendwo in der Gegend.“

„Wir miass’n vorher eh no zur Nochttrafik“, meldete sich Chris wieder zu Wort, und damit konnte ich mir endlich eingestehen, dass meine Hilfsbereitschaft nicht Heimkehr, Pyjama und Nachtgebet zum Ziel hatte, sondern Shamrock, O’Maley’s und Chez Roland. Oder ein wenig plakativer ausgedrückt: Antrinken, Abtanzen, Einrauchen.

Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich den Begriff vom Generationswechsel. Meine eigenen Sinne verlangten nur noch nach Schlaf, während die beiden Damen in meinem Wagen, nach persönlicher Schätzung gerade zwanzig, erst so richtig loslegten. In diesem Moment kam ich mir unglaublich alt vor. Es wurde sogar noch schlimmer, denn jetzt schlug auch noch der Vaterinstinkt bei mir durch.

„Wie kommt ihr wieder nach Hause?“

„Um halb sechs geht der erste Zug“, informierte mich Manu fröhlich und versetzte mir dadurch einen weiteren Tiefschlag. Doch wie die Selbstverständlichkeit in ihrer Stimme vermuten ließ, war das ein durchaus üblicher Termin.

„Oder wir stoppen“, meinte Chris beim Aussteigen. Die beiden bedankten sich, warfen mir noch ein cooles Ciao zu und waren verschwunden.

Unter meiner Bettdecke, schon auf der Fähre ins Traumland, kam mir meine Sorge um ihre sichere Heimkehr unbegründet vor. Irgendein alter Knacker wie ich würde sie schon mitnehmen.

 (Aus „Der Kernölbotschafter – Satirische Miniaturen“ Weishaupt Verlag, Gnas 2006/2015)

Erkenntnis des Tages: Nicht nur Geburtstage sind unausweichlich, auch gute Taten. Wenn wir im richtigen Moment unserem Herz die Führung überlassen, gelingen sie und kommen vielfach zurück.

Zitat des Tages: „Hast du ein paar von diesen Ferrari-Schokoladen, damit ich mich bei Christl für die Zwetschken bedanken kann?“ (Meine Mutter kennt meine Vorliebe für Ferrero Rocher.)

Song des Tages: Stranger In A Car (Der wunderbare Liedermacher Marc Cohn singt das Lied für alle Autostopper dieser Welt. https://www.youtube.com/watch?v=P3jqSEshkhs

Feder

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