Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

31. Mai 2020: Ein Tag in meinem Paradies

 7 Uhr Der Gasthof ist noch still, als ich durch einen den Nachtausgang hinausschlüpfe und zum Schlosspark Kleßheim fahre.  Die Nähe zu diesem Naturjuwel war der Hauptgrund für meine Hotelwahl, als ich in Salzburg auf der Suche nach einer Stammgastbleibe war. Gegenüber dem Eingang thront das Schloss, in dem das staatliche Casino erst ein Ausweichquartier und später eine dauerhafte Heimat gefunden hat. Wie immer beginne ich mit Dehnungsübungen und marschiere dann los. Schon nach wenigen Minuten verliere ich mich zwischen dem Klang meiner Schritte, dem Gesang der Vögel, meinen gleichmäßigen, tiefen Atemzügen. Ich umrunde das Kavalierhaus und versuche dabei wie Jack Nicholson in Besser geht's nicht das Treten auf die Ritzen zwischen den Pflastersteinen zu vermeiden. Wieder am Tor, biege ich nach links zum Schloss ab und gehe als letzte Etappe die lange Gerade zu meinem Auto zurück. Vierzig schweißtreibende Minuten; wieder hinter dem Lenkrad, schnaufen meine Beine Na servas, die Wadln! Nur mit dem Versprechen einer ausgiebigen Dusche lassen sie sich dazu bewegen, ihren Dienst an den Pedalen anzutreten.

9:15 Uhr Beim Frühstück, das augenscheinlich nur noch auf mich gewartet hat, plaudere ich mit Juniorchefin Maria Allerberger, die mir Vortags eine selbstverständliche Hilfe war, über die Auswirkungen der Coronakrise auf ihr Geschäft. “Natürlich ist es schwierig, wird's auch bleiben“, sagt die blonde Frau im hübschen Dirndl. Sie lächelt trotzdem und setzt hinzu: “Aber wir werden auch das schaffen.“ Ihr abschließendes “Passt scho', geht scho', wird scho'!“ klingt wie ein mutiger Ausblick, getragen von echter Zuversicht.

11 Uhr Eine Melange auf der kleinen Terrasse vor dem Café Tomaselli. Erstes Ziel auf meinem nostalgischen Altstadtrundgang, den ich stets mache, wenn ich an einem Sonntag hier bin und mir Zeit dafür bleibt. Normalerweise beginnt er mit einer Messe in der Franziskanerkirche, aber noch immer hält mich die Maskenpflicht davon ab. Mit dem immer gleich noblen „Bitte sehr, der Herr“, stellt der Kellner meine Bestellung auf den kleinen Metalltisch. Diesmal habe ich nicht nach einer Zeitung gefragt, denn ich bin nur Augen und Ohren, die alles um mich herum aufnehmen und genießen wollen. Auffallend spärlich ist der Strom an Fußgängern in der Altstadt. Ich schätze, dass nur ein Drittel der Menschen unterwegs ist, die man ansonsten an einem Sonntag antrifft – der noch dazu Teil eines verlängerten Wochenendes ist. Dennoch scheint niemand ob des Rückgangs an Besuchern nervös oder gar bestürzt zu sein. Im Gegenteil: Die Kellner lachen mehr und nehmen sich Zeit für ein Schwätzchen mit Stammgästen, die wiederum entspannt nach der dritten Zeitung greifen, ohne das bohrende Gefühl, dem nächsten zahlenden Gast einen Tisch zu verwehren. Genüsslich schlürfe ich meine Melange, verkneife mir nach dem reichhaltigen Frühstück mit aller Selbstdisziplin die geliebte Himbeertorte und übergebe nach einer halben Stunde meinen Platz an ein Paar aus Deutschland, das meine Einladung gerne annimmt.

11:45 Uhr Am Mozartplatz gönne ich mir ein kleines gemischtes Eis – die Verlockung hausgemacht war dann doch zu stark. Auf den größeren Plätzen der Altstadt wird der Unterschied zur Zeit vor Señora Coronas Besuch noch deutlicher. Nur vereinzelt stehen Paare oder Familien zusammen, Reisegruppen sucht man vergeblich. Dies trägt wohl auch zur seltsamen Stille an diesem Ort bei, dessen Akustik üblicherweise von Stimmengewirr aus aller Herren und Damen Länder dominiert wird. Ich führe das zum Eis bestellte Glas Wasser an die Lippen, ein Hund bellt, ich erschrecke und verschütte etwas davon auf meine Kleidung. Zum Glück ist es nicht Kaffee! Danach gehe ich über den Waagplatz in die Getreidegasse und erklimme die Stiege hinauf zum Café Mozart, um bei einem alkoholfreien Bier über eine Stunde lang in die Wochenendausgabe der SN abzutauchen.

14:15 Uhr Die letzte Station auf meinem Rundgang heute ist üblicherweise die erste. Ich betrete das Dunkel der Franziskanerkirche und setze mich an meinen Platz in der dritten Reihe links vorne, wo ich so viele Male dem alten Pater bei der Spätmesse zugehört habe. Das Altarbild mit der Mutter Gottes und dem Jesuskind war oft Empfänger meiner Gebete, voll Hoffnung, Sorgen und Dankbarkeit. Heute denke ich an Herbert; die Traurigkeit in mir weicht mehr und mehr der Unwirklichkeit, dass dieser kräftige, aktive und gesunde Mensch so früh von seinem Platz in dieser Welt abberufen wurde. Ich erinnere mich an gemeinsame Erlebnisse, bete für Herbert und seine Familie. Dann spüre ich die Kühle in dieser ganzjährig unbeheizten Kirche und mache mich nach einem letzten langen Blick hin zur Pietà auf den Rückweg zu meinem Auto in der Hofstallgasse.

18:30 Uhr Karin ist schon da und winkt mir zu, als ich suchenden Blicks durch die Pizzeria Toscana bei der Lehener Brücke gehe. Den Nachmittag hatte ich schlafend und schreibend auf meinem Zimmer verbracht, wofür meine Beinmuskulatur überaus dankbar war. Selten nur muss sie zu zwei Trainingseinheiten an einem Tag ausrücken; diese Frechheit werde ich am nächsten Tag ordentlich spüren, aber auch dafür habe ich schon die Gegenstrategie im Kopf. Richtig, noch einmal die Runde im Schlosspark, vor dem Frühstück, nur diesmal flotter! Ein gemeinsamer Abend mit Karin lässt aber stets sämtliche Schmerzen und andere unwichtige Kleinigkeiten vergessen. Sie gehört zu meinen wichtigsten Vertrauten. Jedes Geheimnis ist bei ihr gut aufgehoben, jedes Thema wird ausführlich und frei von Polemik diskutiert, jedes Problem erlebt einen so stürmischen Angriff von Lösungsmöglichkeiten, dass wir uns am Ende meist lachend die Frage stellen, worin denn nun eigentlich das Problem bestanden hatte. Karin ist mein (ein bisschen schräg formuliert) einziger Erfolg auf einer Dating-Plattform im Internet; wobei kurioserweise vom ersten Moment unserer Bekanntschaft an für sie wie auch für mich eine Beziehung nie im Raum stand. Möglicherweise liegt darin eine wichtige Basis langjähriger und tiefer Freundschaft. Als ich unsere Tischkellnerin (die wie eine bei der Hochzeit versetzte sizilianische Mafiabraut dreinschaut und auch so redet) nach Bruschetta, Pizza Siciliana (!!!), Pollo ai funghi und Panna Cotta um die Rechnung bitte, sind mehr als drei Stunden vergangen. Karin und ich verabschieden uns herzlich wie immer voneinander, schon mit Vorfreude auf das nächste  Wiedersehen.

23:45 Uhr Das Tagebuch für den Samstag ist ins Netz gestellt. Ich liege müde auf dem angenehm harten Bett in meinem Zimmer und scrolle im Kopf noch einmal durch die Bilder des Tages. Auf einmal beginnt in meinem Herzen ein Wettstreit zwischen Dankbarkeit und Wehmut. Mein Engel freut sich, dass mein Wochenende in Salzburg genau so schön ist, wie ich es mir wünschen konnte. Zugleich macht er mir klar, dass in seiner Schönheit ein besonderer Augenblick liegt. Auf der Suche nach diesem Augenblick bin ich nach Salzburg gekommen – und habe ihn gefunden.

Nach 80 Tagen und 80 Folgen findet mein Corona-Tagebuch heute, am 31. Mai 2020,  seinen Abschluss. Ich danke Ihnen herzlich, sehr geehrte Damen und Herren, für Ihre Begleitung in dieser nicht immer einfachen Zeit. Und ich hoffe, der Kernölbotschafter und ich konnten Sie in den letzten  Wochen aufheitern, manchmal aufrütteln, aber in jedem Falle gut unterhalten. Auf Wieder-Lesen!

Erkenntnis des Tages: Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Selten zuvor habe ich beim Schreiben solche Freude empfunden wie bei der Arbeit am Tagebuch. Der KB sieht das vielleicht anders. Ich werde versuchen, ihn zu eigenen Abschiedsworten an seine vielen (nicht nur weiblichen!) Fans zu bewegen.

 Dialog des Tages: Zwei ältere Paare beim Tomaselli. „Geht ihr auch in die Kirche?“ – Er: „Nein, wir predigen einander selber.“ – „Und wer predigt da wem?“ – Ihr ausgestreckter Zeigefinger ruckt sofort in seine Richtung: „Immer er mir!“

Song des Tages: I Love My Life (Robbie Williams fasst für mich das ganze Tagebuch in nur vier Worten wunderbar zusammen.
https://www.youtube.com/watch?v=j4ggyO-OFXU

Feder

 

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