Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

28. Mai 2020: Tapetenwechsel

Hey KB, gut, dass du so früh im Büro bist. Kannst du mich mit einem Schwank aus deinem Leben als Gaukler aufheitern?

Allein wegen dieser Anrede sollte ich auf dem Absatz kehrt machen, lieber HG!

Nimm’s mir nicht krumm, die letzte Zeit war nicht besonders einfach.

Weiß ich. Dein Abschiedsbrief gestern hat auch mich sehr gerührt. So etwas kann halt nur ein wahrer Schöngeist wie du schreiben.

Warum klingt das aus deinem Mund immer eine Spur ironisch?

Das ist die große Kunst, HG: Ironisch zu klingen und es trotzdem ehrlich zu meinen.

Dein Witz muss als Ausgleich dafür aber echt gut sein!

Habe ich dir je einen schlechten Witz erzählt???

Darüber schweige ich nobel. Also?

Warum hat Finanzminister Gernot Blümel beim Budgetentwurf auf sechs Nullen vergessen? Sie erinnern ihn zu sehr an seine Chancen bei der Wien-Wahl!

Nicht schlecht, aber für rasende Begeisterung reicht es nicht.

Ich sehe schon: Was du brauchst, ist kein Witz, sondern ein Tapetenwechsel! Immer bis 0 Uhr im Büro hocken, da klappst du irgendwann zusammen.

Was schlägst du vor?

Fahren wir nach Salzburg! Die Hotels haben ab morgen wieder offen, da finden wir sicher ein feines Platzerl. Übers lange Wochenende blenden wir uns dann in alle deine ehemaligen Stammcafés ein!

Gar keine schlechte Idee. Und ich könnte Freunde treffen. Was machst du inzwischen?

Die Stadt unsicher.

Aber keine Verkupplungsversuche mehr! Sonst nehme ich dich nicht mit!

Roger, Roger. Du schaust dafür, dass du zu deinen Verabredungen nicht zu spät kommst.

Wie kommst du jetzt darauf?

Erinnerst du dich, als du mit Karin zum Frühstück ins Café Classic wolltest und verschlafen hast?

Dunkel.

Dann lass mich deine schwachen kleinen grauen Zellen erhellen. Ha, das reimt sich! Vielleicht wird doch noch ein Poet aus mir!

Wenn das passiert, zertrümmere ich sofort meine Tastatur und werde Literaturkritiker!

Willst du die Geschichte jetzt hören?

Ich bitte darum.

Mein Privileg (Auszug)

Die Zeigerstellung, welche mir genau dieser Wecker vorhielt, als ich ihn so verschlafen wie verstört anblinzelte, konnte ich nur als hämisches Du hast halt nicht auf mich gehört, im wahrsten Sinne des Wortes! deuten. Viertel nach acht – die gleichzeitige Erkenntnis, wo ich gegenwärtig war und wo ich in fünfundvierzig Minuten auftauchen sollte (nach Möglichkeit nicht in Flanellpyjama und Hüttenpatschen) ließ mich schlagartig aufwachen.

Rationale Überlegungen hätten an dieser Stelle wohl zu dem Schluss geführt, dass sich das niemals ausgeht. Weder halte ich den Weltrekord im Schnellankleiden (ich bin wohl eher im Spitzenfeld, wenn man die Rangliste auf den Kopf stellt), noch würde ich dem regen Samstag-Morgen-Verkehr in der Landeshauptstadt durch sekundenschnelles Beamen entkommen.

Doch in diesem Moment dachte ich überhaupt nicht, sondern legte los. Das ist so einfach, wie es sich anhört, und trotzdem für uns Menschen beinahe undurchführbar schwierig. Meine Effizienz versetzte mich selbst in höchstes Staunen: Nur zwanzig Minuten nach dem ersten Blick auf meinen Wecker saß ich geschnäuzt und gekampelt in der Tiefgarage hinter dem Lenkrad meines Golf Plus. Dazwischen brachte ich alles Notwendige unter außer der Rasur, aber anders als mit Drei-Tage-Bart kennt mich sowieso kaum jemand.

Auf meiner Fahrt durch die Stadt ritt ich auf einer derart beständigen grünen Welle, wie ich sie in Salzburg kaum einmal erlebt habe. Zu Hilfe kam mir auch die Zweispurigkeit der Alpenstraße, die ich durch einen geschickten Zick-Zack-Kurs ausnutzte, um mir an der Ampel vor dem Landesgericht eine wichtige Pole-Position zu sichern. So überquerte ich als Erster die Karolingerbrücke und bog in die Imbergstraße ein, welche den Schlüsselabschnitt der gesamten Strecke darstellt. Auch sie ist zweispurig, verlangt dem automobilen Benützer jedoch auf Höhe des Bildungshauses Corso, wo das italienische Kulturinstitut Dante Alighieri untergebracht ist, eine Entscheidung ab: Entweder nach links über die Staatsbrücke oder geradeaus in die Schwarzstraße, wo nach wenigen Metern zur rechten Hand der Makartplatz und somit mein angestrebtes Ziel liegt.

Da bis heute alle persönlichen und statistischen Beobachtungen zeigen, dass mehr Leute geradeaus fahren, bildet sich auf der rechten Fahrspur der Imbergstraße regelmäßig ein Stau, der zur Stoßzeit durchaus bis zum verunglückten Kreisel vor dem Unfallkrankenhaus (ein Wortspiel für Insider) zurückreichen kann. Bei gebotener Eile empfiehlt es sich daher, so lange wie möglich auf der linken Spur zu bleiben und dabei aufmerksam die Verkehrsgenossen rechts zu taxieren. Erspäht man einen schwerfälligen Lastwagen, der nicht schnell genug die sich vor ihm auftuende Lücke füllt, wenn der ganze Pulk in einer Grünphase nach vorne rückt, heißt es jetzt oder nie: Einmal kurz den Blinker angetippt und ohne Rücksicht auf Verluste nach rechts auf die richtige Spur, wo man sich von Rechts wegen eigentlich viel weiter hinten hätte anstellen müssen und das als braver Staatsbürger selbstverständlich auch tut, unter normalen Umständen.

An jenem Samstag unter abnormalem Termindruck stehend, half mir die Schläfrigkeit einer BMW-X6-Fahrerin, deren wildes Gestikulieren auch nichts mehr nützte, als ich mich vor ihr und bereits in Sichtweite der Staatsbrücke einreihte. Die Strafe war doppelt gerecht: Einmal fürs nicht Obacht geben, und zum zweiten für das Lenken des hässlichsten SUVs der Automobilgeschichte. Von einem X6 muss Franz Kafka in Fieberträumen halluziniert haben, ehe er sich dazu entschied, Die Verwandlung zu schreiben. An der Staatsbrücke kribbelte die Versuchung, bei Dunkelorange noch über die Kreuzung zu zischen, doch ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett ließ mich wissen, dass ein so krasser Gesetzesbruch nicht mehr notwendig war. 8:51 Uhr – ich hatte aus meiner Tiefgarage in Rif bis ins Zentrum von Salzburg nur sechzehn Minuten gebraucht. Schon der zweite Rekord am heutigen Tag; wäre ich nicht im Auto gesessen, hätte ich spontan zum Hans-Rosenthal-Gedächtnissprung angesetzt: Das war ...!

Der Gesamterfolg meiner Mission Vom Bett ins Stammcafé in 45 Minuten hing jetzt nur noch von einem letzten, aber entscheidenden Faktor ab. Sie ahnen es wohl schon, und Sie ahnen richtig: Beim Kaffeesieder des Vertrauens ist eine Tischreservierung möglich. Im Gegensatz dazu schwankt das Vorhandensein eines Parkplatzes auf der Straße davor zwischen den wenig verheißungsvollen Erwartungen selten und unmöglich.

Meine einzige Hoffnung war eine famose Einrichtung namens Behindertenparkplatz. Am Makartplatz sind gegenüber der Kirche gleich zwei davon aufgepinselt. Weil ich schon seit gut 15 Jahren die Stadt Salzburg unsicher mache und berechtigt bin, mit meinem fahrbaren Untersatz das weiße Rollstuhlmännchen auf blauem Grund zu verdecken, kenne ich dessen Positionierung an den für mich relevanten Orten ganz genau. Und weil mein Auge auf die Anvisierung dieser Plätze trainiert ist wie ein piemontesisches Trüffelschwein auf die noblen Knollen, erkannte ich bereits von weitem, dass einer frei war. Um 8:55 Uhr stellte ich die Zündung meines Golf Plus ab – Sieg auf der ganzen Linie, mit drei überlegenen Teilbestzeiten!

Erkenntnis des Tages: Es ist Zeit für Salzburg. Und zwar höchste Zeit!

Dialog des Tages: „Sind Sie der Herr Glanz?“ – „Der bin ich.“ – „Kennen Sie mich noch?“ – Tut mir leid …“ – „Wir waren zusammen in der Volksschule!“ (Das passiert mir immer wieder. Durch mein … äh … Alleinstellungsmerkmal weiß fast jeder, der mir irgendwann irgendwo über den Weg gelaufen ist, wer ich bin. Und ich stehe da wie der unhöflichste Prolet!)

Song des Tages: The Traveller (Chris Stapleton gibt das Motto für das Pfingstwochenende vor!) https://www.youtube.com/watch?v=E2M0PNa-dzg

Feder

 

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