25. Mai 2020: Von der Dankbarkeit

 Am Beginn des Films Out Of Sight (aus irgendeinem Grund bin ich noch immer bei der Geschichte von gestern) raubt George Clooney mit einem coolen Gentleman-Trick eine Bank aus. Mit seinem typischen Nespresso-What else?-Lächeln hätte er die Geldbeschaffungsaktion bestimmt erfolgreich durchgezogen, doch zu Clooneys Pech (und entsprechend dem Drehbuch) springt sein Fluchtauto nicht an. Er wird von den Bullen hopsgenommen und wandert in den Knast.

Gleiches ist mir heute passiert. Nein, nicht was Sie denken! Ich habe keinen Überfall auf die hiesige Raika gestartet – sollte ich das wirklich einmal vorhaben, wäre es ratsam, nicht die Maske des KB in die Überwachungskameras zu halten. Nachdem mein Gnaser Physio Markus wieder einmal die Längen meiner Sehnen gefühlt verdoppelt hatte, hielt ich auf der Heimfahrt bei der Obstbäuerin Johanna Krenn in Maierdorf, um mich mit den ersten heimischen Erdbeeren der Saison für die gelungene Quälerei zu belohnen. Schnell waren meine Lieblingsfrüchte verstaut; ein bisserl mehr Zeit nahm das Tratscherl mit Johanna in Anspruch. Danach setzte ich mich wieder hinters Volant meines Golf Sportsvan (klingt angeberisch nach Racing, aber Golf 10cm höher stinkt werbemäßig ab, und Golf für Rückenmarode fand im VW-Vorstand knapp keine Mehrheit), drehte die Zündung und – nichts passierte. Nicht einmal ein protestierender Würgelaut drang aus dem Motorraum. Die deutsche Wertarbeit, über vier Jahre verlässlich von Triest bis Hamburg und retour, ließ mich schändlich im Stich.

Als Frau der Tat war Johanna rasch mit Starthilfe zur Stelle. Kaum hatte sie den bunt-auffälligen Obstlieferwagen mit meinem mausgrauen Boliden verkabelt, schnurrte dessen Triebwerk, als wäre überhaupt nichts gewesen. Um der müden Batterie noch etwas Zeit zu geben, verlängerten wir die angenehme Plauderei um ein paar Minuten, bevor ich über südoststeirische Hügel nach Hause fuhr – stets ein Stoßgebet auf den Lippen, das mich vor außerplanmäßigen Stopps bewahren sollte.

Je länger ich über diese Episode nachdenke, desto größer wird meine Dankbarkeit. Ich löse das Gefühl vom spontanen Zeugnis der Hilfsbereitschaft, ziehe den Rahmen weiter und erkenne eine Fülle von Menschen, Dingen und Erlebnissen, die davon erfasst werden. Señora Corona hat viel dazu beigetragen, diesen Rahmen noch einmal zu schärfen. Werfen Sie mit mir einen Blick hinein.

Meine Kosmetikerin Jasmin freut sich, nach Wochen wieder arbeiten zu können. Anfangs konnte sie mit so viel Freizeit nichts anfangen. Weil auch ihre Arbeit als Wochenendkellnerin ausfiel, musste sie sich an eine völlig neue Tagesstruktur gewöhnen und fand diese in gemeinsamen Stunden mit ihrer Mutter. Ihr strahlendes Lächeln verriet mir, wie gut sie verbracht waren.

Meine Tante Pe genießt wieder ihre Freundinnenrunden in diversen Fehringer Kaffeehäusern, wo die Damen ebenso herzlich empfangen werden wie ich von Lisa und Ali im Feldbacher Castello. Die Unmöglichkeit, zwischendurch schnell auf einen Kleinen Braunen zu gehen, bedeutete für viele Leute großen Verzicht. Noch ist der Zustrom in die Cafés, Beisln und Restaurants zögerlich; doch die Bedeutung unserer Gaststättenkultur spiegelt sich in allen Gesichtern wieder, sobald ihre Träger einen Platz gefunden und die magischen Worte „Das Gleiche wie immer – bitte, danke!“ gesprochen haben, verbunden mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung und Freude.

Kolleginnen und Kollegen aller Kultursparten haben in der Krise ein Feuerwerk an Kreativität gezündet. Wie schwer muss es für Bühnenmenschen sein, auf diesen energiegeladenen Austausch mit ihrem Publikum zu verzichten – ganz abgesehen von der wirtschaftlichen Komponente. Aber gemäß dem sie alle vereinenden Motto Aufgegeben wird nur ein Brief! verwandelten sich Balkone, Wohnzimmer und Hinterhöfe in Bühnen. Mittels Videokameras und in der Folge über diverse Internetkanäle hielt man Kontakt mit dem Publikum und entdeckte dabei überdies neue Formen der Zusammenarbeit. Señora Corona wurde auch direkt in Parodien, Musikstücken, Literatur thematisiert und auf diese Weise verarbeitet, weggelacht, aus der Ecke unserer namenlosen Ängste verbannt. Wem es auch nur für Minuten gelungen ist, der spanischen Bierverkäuferin den bitteren Ernst zu nehmen, ohne sie deshalb zu verharmlosen, dem gebührt große Dankbarkeit für diesen Dienst. Jene Damen und Herren erhalten mit ihren Künsten die Lebendigkeit unserer Gesellschaft.

Die wichtigste Firewall gegen Virus und Krankheit ist zweifellos unsere formidable medizinische Versorgung. Sie wird oft krank gejammert – meist wohl kränker, als sie ist –, und es mag auch viel Potenzial zur Verbesserung geben. Aber die Tatsache, bis auf wenige unrühmliche Ausnahmen sowohl die Infizierten- als auch die Krankheits- und Sterberate zu jeder Zeit auf einem niedrigen, beherrschbaren und für die Bevölkerung nachzuvollziehenden Niveau gehalten zu haben, nimmt jeder rein negativen Beurteilung die Basis. Als Beispiel für die Leistungsfähigkeit des heimischen Gesundheitswesens mögen die frühe, erfolgreiche Behandlung mit Corona-Antikörpern in Graz sowie die europaweit erste Transplantation einer von Coronaviren befallenen Lunge am Wiener Allgemeinen Krankenhaus dienen. Ohne den hochspeziellen und komplizierten Eingriff hätte die Patientin keine Überlebenschance gehabt. Es schadet auch nicht, sich regelmäßig in Erinnerung zu rufen, wie privilegiert wir in Österreich sind: Wir dürfen Hausärzte, Fachärzte, Ambulanzen, Krankenhäuser zu jeder Tages- und Nachtzeit aufsuchen, wo wir kompetent behandelt und versorgt werden. All das kostet nichts! Wer darin keinen Anlass für ein ganzes Herz voll Dankbarkeit sieht, dem ist nicht zu helfen.

Auch persönlich bin ich dir zu Dank verpflichtet, Señora Corona. Du hast meine gesamte Familie, mich und alle meine Freunde bisher verschont. Mehr noch, wir sind sogar ein Stück näher zusammengewachsen. Du hast mir den Wert von guter Kommunikation und richtigem miteinander Arbeiten erneut klargemacht. Und du hast mir mein Tagebuch geschenkt, ohne das der KB wohl nie das literarische Licht der Welt erblickt hätte – als mein Alter Ego, diskussionsfreudiger Reibebaum und Gaukler. Mein Gott, jetzt wird er sich wieder künstlich aufregen!

Nicht jeder wird in dieser Zeit einen Grund oder genug Kraft für Dankbarkeit haben, dessen bin ich mir vollkommen bewusst. Wirtschaftliche, körperliche und seelische Wunden brauchen lange um zu heilen. Aber in den meisten Fällen kann und wird das auch geschehen. Und wer weiß, vielleicht schauen wir in einem Jahr auf den Besuch von Señora Corona zurück und erkennen, zu welchen Einsichten, herausragenden Leistungen und neuen Lebenswegen sie uns befähigt hat.

Erkenntnis des Tages: Der bekannte Management-Trainer und Coach Dieter Lange wurde gefragt, wie man das Lebensglück findet. Seine Antwort war einfach. „Durch Dankbarkeit. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, wenn ich erst glücklich bin, werde ich auch dankbar sein. In Wahrheit ist es umgekehrt: Der Dankbare ist glücklich.“ Ich erlaube mir den Nachsatz: Und Dankbarkeit ist lernbar.

Dialog des Tages: „Mein Auto hatte plötzlich keinen Strom mehr!“ – „Aber geh!“ (Weil ich meine Schwester Evi immer ob ihres … nun ja … kleinen Elektroautos ärgere, hat sie mir den Ausfall meiner Starterbatterie genüsslich retourniert.)

Video des Tages: Belissima! (George Clooney in einem der genialsten Werbeclips aller Zeiten – nein, nicht für Nespresso!)
https://www.youtube.com/watch?v=t3AWCq6xmAE

Feder

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.