Der Kernölbotschafter trifft Señora Corona

Viel mehr als ein Tagebuch

 

Salzburg Festung

 

27. April 2020: Bald ist es soweit!

Wenn der Gesundheitsminister spricht, hängt eine ganze Nation an seinen Lippen. Das hat es vor Señora Corona nicht gegeben, und wird nachher hoffentlich nie mehr nötig sein. Aber dass Rudolf Anschober zum Star des Ministerrates avancierte, hat er sich redlich verdient. Kein Geschrei, keine Verharmlosung; mit klarer und ruhiger Sachlichkeit hat er den Weg vorgegeben, der unser Land vor großem gesundheitlichem Schaden bewahrt und sohin viel menschliches Leid verhindert hat. Auch Herrn Anschober gelingt nicht alles, auch ihm unterlaufen Fehler; diese gestehe ich ihm wie allen Menschen zu, die unter gewaltigem Druck derart schwere und weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Wir durchleben eine völlig neue Learning-by-doing-Phase, auch die Regierung. Wer hier mit Steinen wirft, muss ohne Sünde sein – oder in Opposition.

Die Minister waren daher sichtlich erfreut, gute Neuigkeiten verkünden zu können. Restaurants und auch Hotels werden bald wieder öffnen! Da habe ich natürlich gleich den KB gefragt, wohin er fahren möchte.

Aber mein lieber HG, das weißt du doch selbst am allerbesten Nach Salzburg natürlich! Wir grasen sämtliche Kaffeehäuser ab und wärmen alte Geschichten auf!

Genau! Wie diese hier.

Handyterror im Gastgarten

Selten muss der Kernölbotschafter seine Berichte mit harschen Worten übertiteln. Es sei jedoch versichert, dass ich mich in diesem Fall aufgrund versuchter Verharmlosung sogar noch zurückgehalten habe. Bevor ich aber zur Beweisführung mittels eines Erlebnisses aus kürzester Vergangenheit antrete, muss ich eine allgemeine Einleitung loswerden.

Ich liebe die Zeit, in der ich lebe. Schnelles Internet, schneller Fußball, schnelles Vergessen der aktuellen Hits auf Ö3, deren schamlose Schöpfer von meinen Musikheroen aus den 80ern und 90ern mit Leichtigkeit zum Frühstück verspeist werden. Weiters möchte ich trotz aller Fragwürdigkeiten in keinem anderen Land zuhause sein. Ein kurzer Blick in die Zeitung beschenkt mich stets mit einem langen Gefühl der Dankbarkeit, in Österreich leben zu dürfen.

Doch auch bei uns war früher manches besser. Nicht nur das Wurstbrot, dessen Zubereitung und Verzehr vom verehrten Kollegen Jochen Malmsheimer so unvergleichlich dargestellt wird. Der Genuss dieser schlichten wie vorzüglichen Speise in einem heimischen Gastgarten gestaltete sich in vergangener Zeit um vieles angenehmer. Heutzutage geschieht es immer öfter, dass dem Genusswilligen selbiger vergällt oder gar gänzlich unmöglich gemacht wird.

Nach getanem Tagwerk zog mich der schöne Sommerabend neulich in die Salzburger Altstadt. Mithilfe eines magischen Schlüssels und des Zauberspruchs „Sesam, senke dich!“ überwand ich den Poller auf dem Mozartplatz und steuerte nach erfolgreicher Verparkung meines Wagens zu Fuß das MozARTs an, dessen nach Westen gerichtete Terrasse für einen abendlichen Besuch wie geschaffen ist. Mein Blick schweifte von der Mozartstatue zur Michaelskirche, dann weiter zur Alten Residenz und zum Dom, schließlich hinauf zur Festung. Wenn das Paradies mit diesem Ambiente mithalten will, muss es sich schon sehr anstrengen. Nur so ein Gedanke …

Ich ließ mich inmitten der zahlreichen Gäste an einem Tisch nieder und bestellte nach einem kurzen Blick in die Karte einen griechischen Salat, der leider nicht besonders gut mit dem bereits servierten Zitronenradler harmonierte. Soviel zur Unart von 99,9% aller Kellnerinnen und Kellner, bei der ersten Runde nur nach den Getränken zu fragen. Der Salat selbst war ohne Fehl und Tadel, was an dieser Stelle als – leider letzter – Pluspunkt erwähnt werden soll.

„Wo bist denn? Bist schon unterwegs? Am Residenzplatz? Komisch, ich seh‘ dich gar net! Ah, jetzt seh‘ ich dich! Na dann, bis gleich!“

Dieser erste Anschlag auf mein paradiesisches Glück fand feige hinter meinem Rücken statt, sodass ich es nicht mehr schaffte, wegzuhören. Die angerufene Person war natürlich längst in Sichtweite und sohin innerhalb weniger Sekunden am Tisch hinter mir angelangt.

Zu meiner Rechten ließen sich gleich darauf ächzend zwei – naja, gut gebaute – ältere Damen nieder. Bevor die beiden miteinander ein Wort wechselten oder die Sitzgelegenheit der einen sich mittels Knacken über den ungewohnt hohen Ballast beschweren konnte, langte sie in ihre voluminöse Umhängetasche und sagte: „Wart mit deinen Neuigkeiten. Ich muss schauen, wer mich gerade angerufen hat.“

Da blieb ihrer Begleiterin nichts anderes übrig, als ihr eigenes Handy auf entgangene Anrufe zu überprüfen. Ihrem Gesicht konnte ich deutlich ansehen, um wie viel lieber sie ihre Geschichte gleich erzählt hätte. Aber es gibt eben Prioritäten.

Das Pärchen am Tisch schräg rechts vor mir – den Lauten bei ihrer Bestellung zufolge englischsprachig – redete gar nicht. Beide starrten auf die Displays ihrer Smartphones, bis sie ihren Freund mit dem Unterarm anstieß, offenbar, um ihm etwas Tolles auf ihrem Gerät zu zeigen. Er wollte jedoch lieber auf sein eigenes Teil schauen und ignorierte ihr Streben nach digitaler Aufmerksamkeit, was sie auch anstellte.

Schreib ihm eine SMS, wollte ich der schönen jungen Frau zurufen, die liest er bestimmt sofort! Ich hielt mich aber zurück, weil ich andernfalls ein paar weitere Ratschläge wohl kaum hätte zurückhalten können: Ihr zwei macht eine Reise in eine der schönsten Städte der Welt und habt an einem so herrlichen Abend nichts anderes im Sinn als eure Smartphones? Schaut euch um und einander in die Augen. Dann wird alles andere ein bisschen weniger wichtig.

Vielleicht hätte ich es wirklich laut sagen sollen, meinetwegen auch auf Englisch. Um meiner eigenen Seele willen, die sich längst vom Paradies abgewandt hatte und gefährlich schnell in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war.

Als ich mich nach dem Kellner umschaute um zu bezahlen – der griechische Salat hatte plötzlich jeden Geschmack verloren –, fiel mein Blick auf eine vierköpfige Familie. Die offensichtliche Freude der Eltern an ihrem gemeinsamen Hiersein vermochten die Kinder nicht zu teilen. Die Tochter las ein eBook auf ihrem Tablet-PC, der Sohn spielte auf seinem Handy.

Möglicherweise ist das heute alles so und ich bin einfach nur mega uncool, weil ich mich nach der Zeit vor diesem Smartphone-IPhone-Webbook-Tablet-PC-Wahnsinn sehne. In meinem Herzen trage ich jedoch eine Szene, die mir immer wieder innere Kraft gibt: Ein gemeinsames Mittagessen mit meiner Familie. Alle reden miteinander, nehmen Anteil, freuen sich an neuen wie alten Geschichten, genießen Gemeinsamkeit. Das war vor dreißig Jahren so, als es noch lange kein Smartphone gab. Und es hat sich bis heute nicht geändert.

Erkenntnis des Tages: Vorfreude ist die schönste Freude. Wir freuen uns auf das Wiedersehen mit unseren Familien und Freunden, auf die ersten Ausflüge, auf den so sehr vermissten Cappuccino im Stammcafé. Bald ist es soweit!

Zitat des Tages: „Was sagst du? Ich verstehe dich kaum! Hier telefonieren alle so laut mit ihren Handys!“ (Dem Mann vom Anfang der oben erzählten Geschichte war auch der letzte Satz vorbehalten. Das beweist wieder einmal, dass der Liebe Gott die kleinen Sünden sofort bestraft.)

Video des Tages: Das Wurstbrot (Früher war nicht alles besser. Aber niemand erklärt besser als Jochen Malmsheimer, was früher doch besser war!)
https://www.youtube.com/watch?v=rfAYPP8RtVw

Song des Tages: Sound of Silence (Jetzt glauben wir es noch nicht, aber wir werden uns bald wieder auf stille Momente freuen. Hier eine feine Version dieses Klassikers von der A-Cappella-Gruppe Pentatonix.) 
https://www.youtube.com/watch?v=gdVjVtpr55M

Feder

 

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