Satiren des Tages - November bis Dezember 2018

7. Dezember 2018: Steiermark, die neue Insel der Seligen

Gestern wurde die Kleine Zeitung wieder einmal ihrem Namen so richtig gerecht. Mein erster Gedanke, als ich ein schlaftrunkenes Auge auf das Titelblatt warf, formulierte es noch viel deftiger, aber die frühmorgendliche Kälte rund um den Postkasten war doch zu streng. Sohin unterblieb eine kraftausdrückliche Verbalisierung, was wiederum der Nachbarin, die bereits ihre drei Hündchen äußerln führte, einen Schock ersparte.

Fasching Bärnbach

Man kann es auch positiv sehen. Jener oberflächlichen Gutmenschen-Attitüde, die in jeder Dunkelheit einen Lichtstrahl findet und dadurch einen sachlichen Blick auf Probleme verunmöglicht, hänge ich normalerweise nicht an. Jedoch strebt auch mein Wesen nach Harmonie, und deshalb begegnete ich der Nachricht, die Bärnbacher Faschingsgilde löse sich auf, als ersten Zugang mit Sarkasmus: Wahrscheinlich waren die Witze zu mies. Dafür sprach der Umstand, dass die Traditionsspaßcombo regelmäßiger Stammgast im ORF-Straßenfeger Narrisch guat gewesen war. Hörensagen, wie ich gestehen muss: Weder habe ich die Sendung je gesehen noch eine Faschingssitzung in der wunderschönen Weststeiermark besucht. Tatsächlich interessieren mich die Narren ungefähr so sehr wie die Anzahl der täglich in China verkochten Reissäcke.

Bemerkenswert ist jedoch, dass eine Zeitung, die sich allein durch ihre Auflage für relevant hält, mit einer solchen Nachricht aufmacht. Im Jemen verhungern die Kinder. In Polen verzweifelt das Klima. In Amerika regiert ein Verrückter. Im BVT-Ausschuss fliegen die Fetzen. Jeder weiß das und mehr. Trotzdem ist das Drama um einen Karnevalsverein die wichtigste Meldung des Tages. Da kann der geneigte Leser nur hilflos die Arme in die Höhe werfen und ausrufen: „Welch ein Glück, dass wir keine anderen Probleme haben!“ Die Steiermark als neue Insel der Seligen.

Sie merken, der Kernölbotschafter ist heute leicht angefressen. Weil das weder ihm selbst noch seiner Leserschaft dient, zum Abschluss ein Tipp für die nächste Redaktionssitzung der nach Eigendefinition größten Bundesländerzeitung unserer Republik. Wenn mit der Kracherschlagzeile Dem Taubenzüchterverein Kleinhintervogelsang droht die Insolvenz! aufgemacht wird, sollte vorher die Umbenennung des Blattes beschlossen werden – in Spatzenpost.

Feder

 

5. Dezember 2018: Überwacht von der Krone

Gestern wurde mir plötzlich bewusst, dass ich zu einem gläsernen Menschen geworden bin. Jene Erkenntnis kam von unerwarteter Seite, aber das machte den Schock nur größer: Die Kronen Zeitung kennt mich in- und auswendig – genauer gesagt: das Krone Horoskop.

HoroskopKrone

Liebe: Sie dürfen sich freuen: Jemand, der Sie anspricht, hat mehr im Sinn.

Kaum waren diese Zeilen in meinem Kopf cerebral verarbeitet, schielte  ich ängstlich zur Theke des hiesigen McCafe, wo ich gerade einen Cappuccino Small und eine Herrentorte bestellt hatte. Gemeint sein konnte nur die nonverbale Ansprache durch die Dame hinter der Budel, deren herb-auffordernder "Tu endlich weiter!"-Blick aber kaum angetan schien, mehr im Sinn zu haben als zu kassieren, herzurichten und das Heißgetränk samt süßer Sünde an meinen Tisch zu bringen. Auch als sie das Tablett vor mich hinstellte, kommentierte die Kundenfreundlichkeit aus dem Lehrbuch meinen Dank nur mit einem wohlbekannten "Hmpf." Noch einmal Glück gehabt; andererseits werde ich jetzt nie erfahren, welche Mehr-im-Sinn-Ansprache mir gestern entgangen ist. Aber die Krone ließ mir ohnehin keine Zeit zum Sinnieren, sie doppelte gleich nach.

Gesundheit: Spannungsaspekte drücken aufs Gemüt. Musik und Tanz heitern Sie auf.

Woher wussten die bloß, dass ich soeben eine heftige Dehnungseinheit bei Markus, dem Physiotherapeuten meines Vertrauens, hinter mir hatte? Die Spannungsaspekte drückten ganz konkret auf Hintern, Achillessehne und alles, was dazwischen liegt. Zur Aufheiterung griff ich auf das altbewährte Hausmittel Kaffee und Kuchen zurück. Musik und Tanz probiere ich frühestens aus, wenn ich Ersteres innerhalb eines Reisetages mittels Auto, Schiff oder Flugzeug nirgends mehr bekomme. Das drückt dann wirklich aufs Gemüt.

Beruf: Ohne den Tipp eines Wassermanns/Widders kommen Sie kaum weiter. Einfach nachfragen.

Es wird noch ärger: Das Krone Horoskop überwacht auch meine elektronische Post! Diese dunkle Seite der Macht hat irgendwie in Erfahrung gebracht, dass ich kürzlich mindestens ein Dutzend eMails mit todsicheren Investitionstipps für immensen Reichtum innerhalb einer Woche gelöscht habe. Weil ich zu blöd war um nachzufragen, ob sie von einem Wassermann / Widder stammen, muss ich jetzt bis an mein Lebensende Lotto spielen.

Geld: Investieren Sie in beständige Werte – keine Risikogeschäfte!

Zum krönenden Abschluss macht mir der Boulevard-Geist von Hans Dichand auch noch ein schlechtes Gewissen! Den ganzen Tag war ich pokerig und sohin in bester Stimmung, am Abend eine zünftige Zockerei anzugehen. Weil ich jedoch den Verdacht hegte, mit beständigen Werten könnte etwas anderes gemeint sein, fuhr ich nicht in den Pokerklub, sonderrn brav nach Hause und setzte mich anstatt zum Spieltisch an den Schreibtisch. Bleibt zu hoffen, dass die Veröffentlichung dieser Satire kein Risikogeschäft bedeutet.

Wie schaffe ich es nur, dieser Totalüberwachung zu entkommen? Ich könnte dem schnöden Komfort des 21. Jahrhunderts Lebewohl sagen und als Einsiedler an den Nordpol ziehen. Oder ich verzichte in Zukunft einfach auf das Horoskopf der Krone.

Ist wahrscheinlich weniger kalt.

Feder

 

22. November 2018: Verbreiterung ermöglicht vertieftheit

Ein passionierter Kaffeehausbesucher ist für gewöhnlich ein großer Liebhaber kleiner Dinge. Er liebt den kleinen Schwarzen, die kleine Pause, den kleinen Tratsch zwischendurch – all das gehört für ihn zum kleinen Glück. Eine Kleinigkeit wird jedoch regelmäßig zum großen Ärgernis, besonders wenn man gewillt ist, die Verweildauer an seinem Lieblingsplatz mittels intensiven Zeitungsstudiums auszudehnen: (zu) kleine Kaffeehaustische für (zu) große Druckerzeugnisse. Das nötigt den geneigten Leser nicht nur zu teils akrobatischen Verrenkungen (besonders bei guter Besuchslage, sprich: wenn die Hütte rappelvoll ist), sondern führt auch immer wieder zu veritablen Unglücken, in die klirrende Espressohäferl, Untertassen sowie noch weitere Utensilien des typischen Gebrauchs involviert sind. Genau ein solches geschah neulich im hiesigen McDonald’s, dessen kleingastronomische Abteilung namens McCafè beileibe kein klassisches Kaffeehaus darstellt, aber als entfernter Verwandter doch irgendwie dazugehört.

Ich hatte mich gerade mit der Presse niedergelassen, in freudiger Erwartung auf das hilfsbereite Wesen, das mir einen Cappuccino Small und einen Cheesecake an den Tisch bringen würde. Die Tische trifft es genauer, okkupiere ich mit dem ausladenden Qualitätsblatt doch immer gleich zwei nebeneinander. Sohin bleibt genügend Platz, sowohl für geistigen als auch kulinarischen Genuss.

Einem nobel gekleideten, älteren Herrn war diese gescheite Vorgehensweise noch nicht geläufig. Er trug ein gut gefülltes Tablett samt unter die Achsel geklemmten Kurier zu einem quadratischen Einzeltisch, was sich erst ab dem Moment als Fehlentscheidung herausstellte, als er daranging, die bekannt großformatige Zeitung auseinanderzufalten. Den Burger irgendwie mit der rechten Hand haltend, platzierte der Mann die Ausgabe direkt vor sich, das Tablett mit der darauf verbliebenen Flasche Mineralwasser und den Pommes am oberen Rand des Tisches. Von dessen Fläche war selbstredend nichts mehr zu sehen. Als meine Bestellung kam, verließ meine Aufmerksamkeit das Geschehen meiner unmittelbaren Umgebung. Ich erfreute mich am Milchschaum samt Schokoverzierung, ließ die Tortengabel in den fluffig-gelben Cake eintauchen, mein Geist versank in den druckschwarzen Botschaften aus Politik, Wirtschaft und Sport.  

Ein plötzlicher Krach holte mich aus meiner beinahe heiligen Meditation. Mein Kopf fuhr hoch, gerade schnell genug, um letzte Pommes-Frittes-Stäbchen über den braunen Boden rutschen zu sehen. Dem älteren Herrn entfuhr ein herzhaftes „Sch…!“, dann erhob er sich, um die ungewollte Kriechtierfütterung wieder rückgängig zu machen. Zu seinem Glück hatte er das Mineralwasser noch nicht geöffnet – die Flasche war mit dem Tablett zwischen Sessel und Tischkante hängengeblieben. Was hatte den Sturz ausgelöst? Nun ja, ein typisches Zeitungslesermissgeschick, das zu begehen besonders jene Gefahr laufen, die ihren Lesestoff auf dem Tisch vor sich ausbreiten und sich hernach im Unterarmstütz darin vertiefen. Besagte Unterarme rutschen langsam, aber sicher nach vorne, die Augen folgen dem gerade in geistiger Arbeit befindlichen Artikel – nicht aber dem Tablett, das sich in grausamer Logik stetig dem Abgrund nähert, bis die Schwerkraft ihre immerwährende Arbeit tut.

„Da wurde ich wohl zum Opfer meiner eigenen Vertieftheit“, sagte der Herr, lächelte entschuldigend in meine Richtung und fügte an: „Fragt sich nur, ob ich im falschen Lokal gelandet bin oder die falsche Zeitung lese.“

„Einfach zwei Tische in Beschlag nehmen“, gab ich heiter zurück. „Nach der Verbreiterung steht der Vertieftheit nichts mehr im Wege.“

Groß und klein, Breite und Tiefe … das Café ist zweifelsohne ein idealer Platz, um philosophischen Gedankenspielen zu frönen. Felsenfest steht jedoch meine Überzeugung, dass ich lieber das Großformat an einem kleinen Tisch lese als umgekehrt. Zumindest in Österreich.

Feder

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