Briefe, die nie verschickt wurden
Der Kernölbotschafter schreibt sich durch den Sommer

 

Brief aus der Redaktion: Alle heiraten (oder auch nicht)!

Dieser Sommer, der so heiß wie trocken war und noch nicht einmal zu Ende ist, wartete mit zwei Besonderheiten auf: Erstens trug er Früchte in Hülle und Fülle. An jedem Stängel hing quasi ein Stück Obst. Aus allen Ecken war der beinahe verzweifelte Ruf zu hören: „Was mache ich nur mit meinen vielen Birnen / Äpfeln / Zwetschken?“ Eine Freundin hatte von ihrem einsamen Birnbaum 137 Kilogramm Ertrag. Der daraus fabrizierte Saft wird noch jahrelang das Leben ihrer vier Enkel versüßen.

Und zweitens: Alles heiratet! Wie es mit den Vögeln und Bienen, den Blumen und Bäumen war, entzieht sich der Kenntnis des Kernölbotschafters, doch bei der Gattung Mensch ging es in Sachen öffentlicher Liebesbekundung turbulent zu wie lange nicht. Ob echte Ehen oder Verpartnerungen – landauf, landab bildeten sich vor den Standesämtern lange Schlangen, und das nicht nur sprichwörtlich. Meine Kosmetikerin (Traumhochzeit), ihre Kollegin (Verpartnerung, nachdem beide möglichen Richtungen ausgetestet waren), die Nachbarin (leider der einzige Regentag zwischen zwei Schönwetterperioden), einer meiner besten Schulfreunde (am Berg unter bewölktem Himmel, aber sehr gemütlich) und noch viele andere luden zum großen Fest der Liebe.

Da konnte die internationale und auch die heimische Prominenz klarerweise nicht zurückstehen. Über Prinz Harry und seine Schauspielerin, die wiederum seiner Schwägerin so verblüffend ähnlich schaut, wurde ebenso viel geschrieben wie über die aktuelle österreichische Außenministerin und ihren russischen Ehrengast. By the way: Weiß irgendwer außer dem russischen Geheimdienst, wie der Ehemann von Karin Kneissl heißt? Niemand? Aber dass sie vor Putin geknickst hat, ist auf ewige Zeiten ins globale Gedächtnis eingebrannt. Dies als kleiner Hinweis für alle, die sich selbst und anderen noch immer einreden wollen, der moderne Zar und ehemalige KGB-Mann sei „nur als Hochzeitsgast“ in die Südsteiermark gekommen.

Der Hype um die knappe Stunde Anwesenheit Putins im Weinland ließ in der Kernölbotschafter-Redaktion die Frage kreisen, wen andere Prominente zu ihrem künftigen (oder auch nur erträumten) Ehrentag einladen sollten, um die größtmögliche Boulevardwirkung zu erzielen. Wir blätterten durch die Geschichten dieses Sommers und gestatteten unseren Gedanken Auslauf wie den glücklichsten Kühen auf den Almwiesen.

Boris Becker hat beim Thema Hochzeit zwei Probleme. Er weiß nicht, ob a) er nicht schon viel zu pleite ist, um überhaupt eine Feier zu veranstalten, und ob b) die eingeladene A- bis D-Prominenz nicht doch sicherheitshalber fernbleiben würde – aus Angst, vom Aperitif-Schampus bis zum als Mitternachtsimbiss gereichten Tofu-Kaviar-Körbchen alles selbst berappen zu müssen. Aber dem Mann kann geholfen werden; zwei Personen gibt es, die mit Sicherheit kommen: Diejenige, die den Antrag auf Privatinsolvenz gestellt hat, und in ihrem Schlepptau der vom Gericht bestellte Masseverwalter. Erst werden sie feststellen, dass vom einstigen Tennisstar und Liebling der Klatschpresse tatsächlich nichts mehr zu holen ist. Anschließend spielen sie eine Runde Poker um sein letztes Hemd, um es im Falle seiner Niederlage als Kuriosität auf eBay zu einem horrenden Preis zu versteigern. Wenige Tage später wird Becker seine Drohung wahrmachen und für immer in die Zentralafrikanische Republik auswandern.

Innenminister Herbert Kickl hat gar keine Zeit zum Heiraten. Er ist mit diversen Ausschüssen, Parlamentssondersitzungen und sonstigen Kleingeistigkeiten der Opposition vollständig ausgelastet. Wenn es trotzdem sein muss, lädt er den ungarischen und den italienischen Innenminister zu seiner Hochzeit ein, die selbstverständlich in der Spanischen Hofreitschule stattfinden wird. Sämtliche Polizeipferde, die sich bis dahin freiwillig für die von Kickl ins Leben gerufenen Reiterstaffel gemeldet haben, werden das Ehrenspalier bilden. Die musikalische Unterhaltung bestreiten die Bremer Stadtmusikanten, falls es ihnen gelingt, durch die deutsch-österreichischen Grenzkontrollen zu kommen … also wird Kickl wahrscheinlich doch nie heiraten.

Um Mesut Özil ist es nach seinem mit meterhohen Medienwellen vollzogenen Rücktritt aus der deutschen Fußballnationalmannschaft ruhig geworden. Nach seiner bubig-trotzigen „Ihr seid alle so gemein zu mir!“-Brandrede haben sich die Möchtegernfreunde vertschüsst, und von echten ist in der Öffentlichkeit nichts bekannt. Also werden zu seiner Hochzeit wohl nur Fotokumpel Ilkay Gündogan und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erscheinen. Bei vegetarischem Kebap und anatolischem Wein werden sie dann gemeinsam über die Deutschen jammern, was zu guter Letzt in ein Jobangebot des türkischen Sultans münden wird. Nach Ende ihrer Fußballlaufbahn können die zwei als Minister für Medienkontrolle (Özil) und Kopfhaarpflege (Gündogan) im Land am Bosporus Karriere machen.

Weil niemand den Eröffnungstermin den Krankenhauses Wien Nord kennt, kann der Wiener Krankenanstalten Verbund dort auf absehbare Zeit leider keine Hochzeiten veranstalten. Das findet besonders Wiens Altbürgermeister Michael Häupl schade, der die Kosten für seine nächste Verehelichung gerne als unbedeutende technische Probleme in den Baukosten versteckt hätte. Die sind ohnehin so horrend, da fallen ein paar zehntausend Euro mehr oder weniger niemandem auf.

Mit nunmehr 80 Jahren wird Aktionskünstler Hermann Nitsch wohl nicht mehr heiraten, was seine zahlreichen Förderer und Bewunderer erleichtert aufatmen lässt. So gerne sie alle in Interviews für die Seitenblicke über die noch immer ungebrochene Innovationskraft seines Mysterientheaters schwadronieren, so ungern lassen sich die meisten von ihnen mit Blut bespritzen, sei es nun künstlich oder echt schweinisch. Da Nitsch bekanntlich keine Gelegenheit zu einem feucht-bunten Rundumschlag auslässt, wäre für einen so besonderen Ehrentag, hätte es ihn noch einmal gegeben, das Schlimmste zu befürchten gewesen.

Auch Martin Winterkorn wird nicht mehr heiraten. Dafür müsste er vorher nämlich die wohl teure Scheidung von seiner zweiten Frau berappen. Geht sich das irgendwie aus, stünde vor dem Standesamt sodann die gesamte Mannschaft der Staatsanwaltschaft Braunschweig Spalier um zu erkunden, von welchem Schwarzgeldkonto die nunmehr dritte Verehelichung finanziert wird. Kann die legale Liquidität von Winterkorn und seinen Gästen nicht sofort nachgewiesen werden, klicken noch an Ort und Stelle die Handschellen. Dann kann er im Knast mit seinem Audi-Kumpel Rupert Stadler darüber diskutieren, wer von ihnen früher über die Dieseltricksereien Bescheid wusste.

Im Gegensatz dazu hoffen alle Kulturinteressierten in und um Salzburg sehr, dass Lydia Steier, die amerikanische Regisseurin der diesjährigen Zauberflöte-Inszenierung bei den Festspielen, möglichst bald heiratet. Wenn geht, bitte einen reichen Kerl, damit sie nicht länger arbeiten muss, was in ihrem Fall die Opernbühnen dieser Welt vor der weiteren Verbreitung visueller Grauslichkeiten bewahren würde.

Bei der Hochzeit von Henrik und Sabrina gibt es eine besondere Kleiderordnung. Jeder Gast muss ein T-Shirt mit einem möglichst schrägen Spruch tragen. Als Mitternachtseinlage werden die besten Sprüche von Männlein und Weiblein prämiert. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Beispiel für Damen: „In einem Dirndl würde ich dich nur unnötig geil machen!“ Beispiel für Herren: „Ich mache keine Fehler! Ich erschaffe Katastrophen!“ Zusatzaufgabe für das Brautpaar: Sollte Henriks nunmehr adaptiertes „Meine Gattin hat den geilsten Arsch der Welt – mich“-Shirt das Rennen machen, müssen beide mit blanken Hinterteilen den Wahrheitsbeweis antreten.

Pferdebesitzer Benjamin heiratet seine Wald-und-Wiesen-Liebe nur dann, wenn er gemeinsam mit ihr und seiner Haflingerdame Frida mit den ÖBB auf Hochzeitsreise gehen kann. Die Verhandlungen, ob dafür eigens ein Viehwaggon mit Strohhimmelbett angeschafft werden muss, den die steirische Landwirtschaftskammer mittels Patenschaft finanziert, laufen noch.

Harald Mahrer möchte nicht mehr heiraten. Das liegt nicht am Zeitmangel; jedoch könnte er die vielen Leute, denen er in seinen vielen Ämtern vorsteht und die er deshalb alle einladen müsste, nicht einmal in der größten Kirche des Landes für eine Segnung durch Kardinal Schönborn unterbringen. Aber der Multifunktionär wälzt andere geistlich angehauchte Pläne. Er möchte sich zum evangelischen Diakon ausbilden lassen, um als Fernziel den Titel Sportlichster Pfarrer Österreichs zu erringen – ein paar zusätzliche Termine lassen sich in seinem Kalender noch locker reinstopfen. 

Ganz gegen den Trend zum Heiraten agiert Christian Kern. Er hat sich mit viel medialem Getöse, aber umso schlechterem Timing von der SPÖ scheiden lassen. Mit ihr, so glaubte er noch vor nicht einmal zwei Jahren, würde er ein bis zwei Legislaturperioden als Spielführer den Ton im ganzen Land angeben. Blöderweise fand er sich in der zweiten Reihe wieder, unbeachtet, obwohl er sich mit angefressenem Gesicht und ebensolchen Meldungen die allergrößte Mühe gegeben hat. Für ein Alpha-Männchen wie Kern naturgemäß eine Katastrophe, weshalb er jetzt einen Schlussstrich unter diese unglückliche Beziehung gesetzt hat. Danach behauptete er vollmundig, sich demnächst in Brüssel auf Brautschau begeben zu wollen. Das Angebot soll nicht schlechter sein als in der Alpenrepublik, die Mitgift sogar noch um einiges ansehnlicher. Als Kern jedoch draufkam, dass auch dort die Bräute nicht für ihn Schlange stehen wie beim Bachelor, zog er neuerlich ein beleidigtes Schnoferl und mit einem unverhohlenen "Ihr seid alle so gemein zu mir!" von dannen.

Liebe Herzlichkeit und liebes Glück, euch zwei habe ich bewusst ans Ende gesetzt, weil ihr anders seid als alle vor euch. Obwohl ihr Verehrer sonder Zahl habt, kommt eine Heirat für euch nicht in Frage. Ihr gehört niemanden, verschenkt euch aber an jene, die euch suchen und schließlich auch finden – in sich und in den Menschen ihrer nächsten Umgebung. Denn ihr wisst, das Fest der Liebe findet nicht nur bei einer Hochzeit statt. In Wahrheit erschafft jede Begegnung mit euch einen Ehrentag, der uns zum Feiern einlädt – das Leben, die Liebe, unser aller Mensch-Sein.

Mit bestem Dank für die Geschichten grüßt euch alle herzlich Der Kernölbotschafter

Feder

 

 28. September2018: Liebes Glück!

Es ist ein besonderes Erlebnis, dir zu begegnen. Du kommst leise daher, mit einem verschmitzten Lächeln, das nur Menschen erkennen, die in diesen Momenten dafür offen sind. Diese Seelen wissen, du bist eine Schwester des Zufalls – in dem Sinne, dass du dich nur an wenige verschenkst, ihnen zufällst. Die meisten anderen lassen den Augenblick verstreichen und wundern sich, warum in ihrem Leben nichts Schönes passiert.

Um den freien Tag nach Abschluss meiner Therapie gut zu verbringen und auch die Zeit bis zur Heimreise zu verkürzen, fahre ich auf Empfehlung meiner Physiotherapeutin Judith von Bregenz nach Bezau im Bregenzerwald. Einer Gewohnheit folgend, suche ich zuerst die Kirche auf und bin erstaunt, einen für das Alpendorf sehr imposanten Bau im Stile der Neu-Renaissance zu betreten. Das dank großer Fenster lichtdurchflutete Gotteshaus lässt mich länger verweilen; ich tauche in die Ruhe ein und hole im Gebet die Bilder der vergangenen Woche hervor. Schon hier bist du still an meiner Seite gesessen; wer die Dankbarkeit für das eigene Sein als Begegnung mit dem Glück erkennt, braucht nie mehr nach dir zu suchen.

„Du musst unbedingt zum Natter gehen. Die haben die besten Torten weit und breit!“

Judiths Rat führt mich (nach einem ungeplanten Umweg über unglaublich schmale Dorfstraßen – hin und wieder muss ich meinem nicht vorhandenen Orientierungssinn frönen) in die Konditorei am Ortseingang. Die Wahl vor der reich gefüllten Vitrine fällt tatsächlich schwer; nach dem strengen Blick der Seniorin hinter mir siegt Erdbeer-Sahne ganz knapp vor Orange-Trüffel. Ich setze mich in die Herbstsonne, schließe in Vorfreude auf den Genuss die Augen.

Kinderstimmen beenden mein angenehmes Dösen. Ich wende meinen auf die Brust gesunkenen Kopf und sehe viele kleine Bergschuhe, die neben- und nacheinander in den Gastgarten hüpfen, trippeln und schlendern. Rund zwanzig Kinder im Volksschulalter rauschen an mir vorbei auf den Eingang zu. Ihnen folgen fünf Erwachsene, wie die Kleinen in bunter Wanderkleidung. Nach wenigen Minuten erscheinen die Ersten wieder, mit einem hoch aufgetürmten Tüteneis in der Hand und einem breiten Grinsen im Gesicht.

Und du bist mitten unter ihnen, liebes Glück. Ich sehe dich ganz deutlich, als sich die Kinder auf der kleinen Mauer, die den Gastgarten umfasst, niederlassen und ihre süße Pause genießen. Sie lachen, tratschen und schlecken ihr Eis. Auch ihre fünf großen Begleiter setzen sich hin; ein bisschen abseits, völlig entspannt und ohne Kontrollstress, für den es ohnehin nicht den geringsten Anlass gibt. Kein hektisches Wischen über Mobiltelefone ist zu sehen, kein schrilles Kreischen, das Kindergruppen immer öfter begleitet, zu hören.

Je länger ich das Bild vor mir betrachte, desto intensiver empfinde ich deine Gegenwart. Du breitest über der gesamten Gruppe deine Arme aus; eine Geste, die deutlich macht, wie wenig es braucht, um dir zu begegnen: Schaut her, wir haben alles, rufst du den Menschen zu. Freundschaft, gemeinsam verbrachte Zeit, Sonne und Natur, Freude über eine kleine Süßigkeit.

Auf der Rückfahrt nach Bregenz fällt mir ein: An den Geschmack der Erdbeer-Sahne-Torte erinnere ich mich nicht; bestimmt war sie vorzüglich. Ich bin jedoch erfüllt von dir. Du bist die wichtigste Nahrung, die es für uns Menschen geben kann. Die Seele zehrt davon, das Herz gewinnt neue Kraft, und der Verstand kann sich zurückziehen auf die Insel der Unbedeutsamkeit, wohin wir ihn viel zu selten schicken.

Dein Reichtum, an dem du mich in Bezau mit den Kindern als Boten hast teilhaben lassen, wird mich begleiten bis zu unserer nächsten Begegnung, auf die ich mich schon heute freue.

Mit von Herzen dankbaren Grüßen, Der Kernölbotschafter

Feder

 

 20. September2018: Lieber Christian Kern!

 Was du (nie) warst

Als Manager, von Zweifeln frei
Kamst du als Retter einst herbei
Die Partei rief: "Du bist fesch!
Und ab sofort Regierungschef!"
 
Was du vorher nicht alles warst!
Verbund und ÖBB sogar
Führtest du in schwarze Zahlen
Damit ließ sich ganz schön prahlen
 
Deine Kleidung passgenau
Dein Gang aufrecht, dein Blick schlau
Ein echter Staatsmann für ein Land
Das sich tief beeindruckt fand
 
Als kurz darauf ein junger Spund
Seinen türkisen Plan tat kund
Fühltest du dich gut geeicht
Dich grünes Bubi schnupf' ich leicht!
 
Du präsentiertest den Plan A
Wie ein Hollywood-Filmstar
Doch Lesen ist für viele Qual
Sehr wohl verstehen sie: "Neuwahl!"
 
Du nahmst den Fehdehandschuh an
Doch dachtest nicht im Traum daran
Dass nur, wer führt, entkommt dem Scheine
Ich bin doch Chef, und nicht der Kleine!
 
Beraten ließt du dich von Leuten
Die dich zum Pizza fahren scheuchten
Einer saß recht bald im Knast
Trotzdem hast du es nicht erfasst
 
Und eines Abends, ach du Schreck!
Dein Sonnenplatz war plötzlich weg!
Der Schock darüber saß sehr tief
Sind das die Geister, die ich rief?
 
Zweiter nur? Das kann doch nicht
Die Wahrheit sein!, stand im Gesicht
Was für ein Wort - Opposition!
Da ernte ich nur Spott und Hohn!
 
Du hast es eine Zeit probiert
Damit dein Unglück prolongiert
Doch jetzt ist endlich damit Schluss
In Brüssel komm' ich neu in Schuss!
 
Ob das stimmt? Es wird sich weisen
Ich spüre Zweifel, nicht nur leisen
Was zwang dich denn echt in die Knie?
Bundeskanzler warst du nie ...

Feder

 

4. September 2018: An die Gerechtigkeitsfanatiker in Hollywood!

Euch scheint es gerade so zu gehen wie mir, wenn ich nach einem opulenten Mahl das notwendige Verdauungsschnapserl zu schnell kippe – es steigt mir zu Kopf. Das kann bei Erfolg ebenfalls passieren, wie einigen Wichtigtuerinnen mit der #MeToo-Debatte. Versteht mich nicht falsch; die Entlarvung von Harvey Weinstein und Konsorten war überfällig.

Was ihr jetzt aber fordert, schießt weit übers Ziel hinaus und wird euer eigenes Business in letzter Konsequenz gegen die Wand fahren. Schlicht deshalb, weil sich eure gesamte Daseinsberechtigung in Luft auflöst, wenn ihr diese krude Idee zu Ende denkt. Wem immer das eingefallen ist, der kann niemals einen Abschluss in aristotelischer Logik gemacht haben.

Nur eine transsexuelle Person soll eine ebensolche Rolle im Film verkörpern dürfen. Alles andere, so eure auf den ersten Blick logische Erklärung, würde nicht authentisch rüberkommen. Gleiches muss auch für Homosexuelle gelten; jemand aus eurem Verein, mit dem ihr den Verantwortlichen in Hollywood einheizen wollt, hat jüngst sogar mokiert, dass eine lesbische Schauspielerin, die eine lesbische Superheldin verkörpern soll, im echten Leben nicht lesbisch genug ist.

Aha. Und wo hört das auf, bitteschön? Wenn nur noch real Behinderte in Filmen dieser Thematik auftreten dürfen an der Stelle von Schauspielern, die sich in wunderbarer Weise auf die Rolle einlassen – wer bestimmt, wie stark die Behinderung ausgeprägt sein muss, damit sie authentisch rüberkommt? Wie orthodox hat ein Jude zu sein, um einen echten Juden darzustellen? Allein die Vorstellung, die Besetzung mit Profisportlern wäre Voraussetzung, um Filme wie Rocky oder An jedem verdammten Sonntag zu drehen, vergällt mir die Freude am Kinobesuch. Ganz abgesehen davon, dass kein Berufsboxer schöner „Keine Schmerzen, keine Schmerzen!“ röcheln könnte als Sylvester Stallone.

Einen weiteren Knick in eure Theorie verursacht die Tatsache, dass wir Filmfreaks ja nicht immer nur wegen der Handlung ins Kino gehen. In geringerem Maße deshalb, weil sie manchmal im besten Falle nur rudimentär vorhanden ist. Viele von uns, das ist der wahre Grund, haben ihre ganz persönlichen Lieblingsschauspieler und -innen (@ #MeToo: ist gegendert, nicht sexistisch gemeint), deretwegen wir besonders gerne die Lichtspieltheater frequentieren. Meine sind unter anderem, wie es sich für ein älteres Semester gehört, Tom Hanks und Meryl Streep – gemeinsam zu erleben im Journalistendrama Die Verlegerin; höchste Schauspielkunst, die höchsten Genuss beschert.

Hört sohin meine düstere Prophezeiung: Kein Schwein wird eure ach so wirklichkeitsnahen Filme sehen wollen, weil die Profession des Schauspielers – er/sie spielt und wir schauen – längst ausgestorben ist, bevor ihr eine simple Tatsache gneißt: Es ist einfach, jemand zu sein, aber ungleich schwieriger, jemanden zu verkörpern. Dazu braucht es Talent, Empathie und große Leidenschaft. Nur weil ich zufällig mit einer Behinderung lebe, heißt es noch lange nicht, dass ich einen Behinderten im Film authentisch darstellen könnte.

Weil mein Brieflein aber nicht nur dazu dienen soll, Hirnrissigkeiten aufzudecken, habe ich einen Vorschlag, die euren löchrigen Plan halbwegs kitten könnte. Österreichische Politiker haben in jahrzehntelangem Training die Kunst perfektioniert, sich selbst zu spielen. Als Reaktion auf die aktuelle Debatte sind nun einige von ihnen bereit, Hauptrollen in spannenden Remakes zu übernehmen, mit denen ihr in den kommenden Jahren den Kinokarren wieder flottmachen könnt.

Unsere Außenministerin ist derzeit in so vielen Seitenblicke-Rubriken zu finden, dass als nächster Karriereschritt fast zwingend die Teilnahme an einer internationalen Kinoproduktion erfolgen muss. Besonders anbieten würde sich der Spionagethriller Liebesgrüße nach Moskau, in dem Karin Kneissl von einem russischen Agenten bei ihrer eigenen Hochzeit erst betanzt und dann verführt wird. Ihr dämlicher Gatte kriegt nichts davon mit, und als später das ganze Land um seinen guten Ruf gebracht wird, ist es längst zu spät. In weiteren Rollen: Alfons Mensdorf-Poully als Oligarch, der für jede Bestechung offen ist, Josef Pröll als Verhandler ohne Kompetenz und Sebastian Kurz als Schattenkanzler, der stets im Schatten bleibt.

Die nächsten Filmhits, auf die wir uns freuen dürfen: Ein Mann sieht Rot! mit Christian Kern, der seine Slim-Fit-Anzüge endlich auf großer Leinwand präsentieren darf. Die Glücksritterin mit Eva Glawischnig, über eine Frau, die nach dem Verteilen von Gemeinheiten dem Mammon verfällt und für immer im Bauch eines Einarmigen Banditen verschwindet. Grüne Tomaten (Endlich wieder mehr Zeit für Gartenarbeit!)  mit Maria Vassilakou, die als Protagonistin ein Hochhausprojekt noch vor Baubeginn zum Einsturz bringt und schließlich fern der großen Stadt ein neues Leben anfängt.

Ein weiteres Projekt verspricht prickelnde Spannung, doch es fehlt noch die Unterschrift des Hauptdarstellers. Peter Pilz wurde für den erotischen Psychothriller Fifty Shades of Green (U-Ausschuss einmal anders!) angefragt, aber die Verhandlungen stecken fest; es wird gemunkelt, dass die Produzenten seinem Wunsch, sämtliche weiblichen Darstellerinnen vorab persönlich auf der Besetzungscouch testen zu dürfen, nicht entsprechen wollen. Sie befürchten einen Skandal von Weinsteinschen Dimensionen, womit sich der Kreis schließt.

Als Alternative zu Peter Pilz böte sich Hugh Grant an. Dann verkommt die Story zwar zu einer seichten Liebeskomödie mit Happy-Pop-Soundtrack, aber der Brite brächte die entscheidende Voraussetzung mit: Er ist seit jeher der einzige Schauspieler weltweit, der in jedem Film sich selbst spielt. Und genau das ist ja, was ihr wollt.

Cineastische Grüße, Der Kernölbotschafter

Feder

 

27. August 2018: Lieber Harald Mahrer!

Einen größeren Wunderwuzzi hat es in der Alpenrepublik wohl noch nie gegeben. So viele Jobs! Und immer in leitender Funktion! Wie schaffen Sie das nur? Hat Ihr Tag 48 Stunden im Gegensatz zu den läppischen 24 von uns leider Gottes sterblichen Erdlingen? Oder haben Sie bei einem sauerstofffreien Tauchgang während Ihres letzten Urlaubs die sagenhafte Stadt Atlantis entdeckt, wo in einem alten Freimaurergrab das Rezept für ewige Jugend, Kraft und Schönheit verborgen war?

Alles Hirngespinste. Die Wahrheit ist viel banaler, wie ich in der bunten Sonntagskrone von gestern erkennen musste. Sie sind einfach unglaublich fit. Um das zu beweisen, ließen Sie sich von einem Fotografen des Boulevardblattes auf einem Ihrer Powerläufe ablichten.

Mahrer läuft(Foto: Intersport)

Sie verkörpern perfekt das Motto Österreich neu regieren, das Bundeskanzler Sebastian Kurz ausgegeben hat. Getreu dem Vorhaben, Leistung muss sich wieder lohnen, haben Sie nicht bloß einen Stressjob aufgerissen, auch nicht zwei, drei, vier oder fünf. Nein, ganze sechs Ämter haben Sie übernommen und stehen noch dazu am Hirarchietreppchen immer ganz oben!

Wirtschaftsbund, Wirtschaftskammer, Sporthilfe, Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wirtschaftsforschungsinstitut, und aktuell auch noch die Österreichische Nationalbank. Damit nicht genug: Sie beraten außerdem den Kanzler, führen eine eigene Firma, haben diverse Publikationen vorgelegt und sind auch noch verheiratet. Wie oft (oder eher: wie selten) Sie Ihre Frau zu Gesicht bekommt, wage ich mir gar nicht auszumalen. Von Kindern war noch nirgends zu lesen, aber Gerüchte besagen, Sie möchten irgendwann alle Ämter an geeignete Nachfolger übergeben. Da kann sich die Seitenblicke-Redaktion auf viele gelungene Familienschnappschüsse freuen!

Und jetzt Ihr neuester Coup: Mit der Fotostrecke aus der Sonntagskrone zeigen Sie nicht nur Ihren stählernen Body in aller Öffentlichkeit. Sie präsentieren gleichzeitig die neue Kampagne des Ministeriums für Gesundheit, dem Sie in Sachen Publicity ein bisserl unter die Arme greifen. Verständlich, denn was Beate Hartinger-Klein in letzter Zeit abgeliefert hat, war ein Fettnäpfchenparcours, kein Fitnesslauf.

Als Aushängeschild dieser Kampagne verzichten Sie ab sofort auf Ihren Dienstwagen und legen sämtliche Wege laufend zurück. Als Sponsor für die dafür notwendige Ausrüstung konnte die Firma Intersport gewonnen werden, wie ebenfalls in der Krone zu lesen war. Der Handel erwartet durch Ihre Unterstützung ein deutliches Umsatzplus. Aufgrund Ihrer Omnipräsenz vermuten manche sogar, den Hans-Dampf in allen Gassen, der Sie sind, gibt es ohnehin doppelt. Deshalb führt Intersport Ihre exklusiven Laufshirts, Hosen und Schuhe ausschließlich im 2er-Set.

Dem althergebrachten Vorurteil, Politiker seien faule Leute, die nichts Gescheites gelernt haben, treten Sie sohin laufend entgegen. Den Glaubenssatz der anderen Reichshälfte, Ihr Berufsstand wäre ausschließlich am Sammeln von Ämtern, Reisediäten und Sitzungsgeldern interessiert, entkräften Sie locker damit, dass Sie sämtliche noch im Ausland befindlichen Goldreserven der ÖNB zu Fuß und eigenhändig zurück in die Heimat transportieren werden. Danach holen Sie noch den Hahnenkammtitel auf der Streif mit Streckenrekord, gewinnen das Finale der French Open gegen Roger Federer und den Goldenen Schuh als Europas bester Ligatorschütze.

Von da an wird Ihnen die Welt offenstehen – auch der Papst braucht irgendwann einen Nachfolger.

Mit allergrößter Huldigung, Der Kernölbotschafter

Feder

 

24. August 2018: Liebe ÖBB!

Wenn ihr in die Schlagzeilen geratet, so meist wegen hoher Kosten, hoher Preise oder hoher Erwartungen, die ein ehemaliger Chef von euch an ein superleiwandes Leben als strahlend lächelnder Bundeskanzler hatte. Die Geschichte ging bekanntlich nach hinten los, aber heute geht es eh um etwas ganz anderes. Ein im wahrsten Wortsinne echt hohes Tier wollte in einem eurer Züge mitfahren, doch das haben eure Angestellten zweimal resolut verhindert.

Der erste Versuch von Haflingerstute Frida, im obersteirischen Bad Mitterndorf den Waggon eines Regionalzuges zu erklimmen, endete noch vor der Tür. Der Lokführer verwehrte den Zutritt mit dem Rat an ihren Besitzer Benjamin, eine schräge Mischung aus Naturbursch und Almöhi, er möge lieber reiten.

Beim wenig später haltenden Railjet hatten die beiden mehr Glück. Der Vierbeiner und sein Herrchen gelangten in einen Waggon, posierten dort vor den verdutzten Zweibeinern für ein paar schnuckelige Selfies, wurden letztlich aber doch von einer sehr amtlich aussehenden Person wieder hinauskomplimentiert. Frida nahm ein glückseliges Kind auf ihren Rücken, legte den Rückwärtsgang ein und sagte wiehernd tschüss mit ü.

Über die Gründe, warum ihr die friedliche Frida von deinem Beförderungsdienst ausgeschlossen habt, gehen die Meinungen auseinander. In eurer offiziellen Stellungnahme heißt es, nur die Mitnahme von kleinen Tieren in verschlossenen Behältnissen sowie Hunden mit Maulkorb, wenn diese ein Ticket hätten, sei erlaubt. Ein Pferd „würde die Sicherheit aller anderen Passagiere gefährden, etwa bei einem Bremsmanöver.“

In meiner Eigenschaft als investigativ-satirischer Journalist habe ich eine alternative Wahrheit, wie Donald Trump twittern würde, recherchiert. Der Ticketautomat am Bahnhof Mitterndorf ist noch nicht von neuester Bauart. Verkehrsminister Norbert Hofer hatte bei Amtsantritt versprochen, auch die hohen Tiere der Regierung würden von nun an öfter mit der Bahn fahren und dafür ein Ticket lösen. Das hat der gute Benjamin wörtlich genommen und unterzog die Frage, ob auch Frida, sein hohes Tier, einen Fahrschein erwerben könnte, einem Praxistest. Als die Haflingerdame dabei scheiterte, probierten sie es getreu dem Motto Schwarzfahrer sind nur jene, die dabei erwischt werden auf die althergebrachte Weise.

Im Exklusivinterview mit der Kernölbotschafter-Redaktion forderte Benjamin nach seiner medienwirksamen Aktion den Verkehrsminister auf, nach „140 km/h auf Autobahnen“ und „Rechtsabbiegen bei Rot“ eine weitere Gesetzesnovelle in Angriff zu nehmen. „Freie Bahnfahrt für freie Pferde“ würde den Transport heimischer Voll-, Warm- und Kaltblüter revolutionieren. Eine Reservierung der halben Kapazitäten eurer Züge für gesattelte und beschlagene Vierbeiner würde zudem die Auslastung mit einem Schlag in noch nie da gewesene Höhen treiben.

Sohin reiche ich eine Kopie dieser Forderung an das Innenministerium weiter. Herbert Kickl ist dem Vernehmen nach Feuer und Flamme für den Vorschlag. Bei einer kurzfristigen Umsetzung könnte er seine berittene Polizeieinheit schneller von Wien nach Bregenz verlegen, als er es sich als blauer Sprücheklopfer jemals erträumt hatte. Das erste Sujet ist schon in Druck gegangen und soll demnächst auf all euren Intercitys zwischen Wien und Bregenz aufgezogen werden.

Besser hoch zu Ross am Pfänder als tatenlos am Donaugeländer!

Mit von so viel Kreativität fast erschlagenen Grüßen, Der Kernölbotschafter

Feder

 

23. August 2018: Liebe Herzlichkeit!

Vielleicht wunderst du dich darüber, einen Brief von mir zu bekommen, weil du meist ein Leben im Verborgenen führst. Das jedenfalls möchte man glauben, wenn man durch den Tag wandert: verbitterte, harte, traurige Gesichter, wohin man schaut.

In Wirklichkeit bist du überall! Es braucht nur ein bisschen Achtsamkeit, dich zu entdecken. Dabei hilft auch, mit deiner kleinen Schwester, der Herzensbildung, befreundet zu sein. Und noch etwas ist wichtig: die Erkenntnis, dass du nur in den Menschen steckst, niemals in den Dingen.

Heute schreibe ich dir aber nicht um zu philosophieren. Vielmehr möchte ich mich bedanken. Du hast dich in den letzten Tagen aus der Deckung gewagt und mir zweimal ganz offen deine Aufwartung gemacht, auf völlig verschiedene, wunderbare Art und Weise. Ich bin noch immer voll davon geflasht, wie es im modernen Begeisterungssprech so schön heißt.

In der ersten Begegnung warst du mit einem kleinen Buben unterwegs. Gemeinsam wanderten wir über eine Almwiese. Wie selbstverständlich bewegte sich das Kind meiner Geschwindigkeit angepasst und beobachtete mich dabei genau. Als wir zu einer abschüssigen Stelle kamen, sagte der etwa Achtjährige: „Hier kann es rutschig sein. Soll ich dir helfen?“

Jenes reine, kindliche Angebot durchflutete mich so wohltuend, dass ich für Sekunden keine Antwort fand. Seine 25, vielleicht 30 Kilo würden niemals ausreichen, um mich im Fall meines sprichwörtlichen Falles vor einer ungewollten Landung im Gras zu bewahren. Und doch war seine Hilfsbereitschaft ernst gemeint – das Kind würde zweifellos eingreifen und am Ende über sein Scheitern bitter enttäuscht sein.

„Sehr lieb von dir, aber ich schaffe das schon“, gab ich zurück, als ich sicher sein konnte, meine Stimme würde nicht mehr zittern vor Rührung. Wir gingen weiter einträchtig nebeneinander her bis zu unserem Ziel, einer Holzbank. Der Bub, gegenwärtig wie es nur Kinder sein können, erzählte von seinen Ferienerlebnissen. Und ich erfreute mich mit dir, die du mit uns auf der Bank Platz genommen hattest, an diesem beständigen Strom von Glück.

Ein paar Tage später betrat ich unweit meines Heimatortes ein kleines Geschäft, um eine Reparatur in Auftrag zu geben. Die Angestellte ist wohl eng mit dir verbandelt, denn kaum jemand sonst beschenkt meine Gegenwart stets mit einem derart offenen und anziehenden Wesen.

Als sie sich nach einem fröhlichen „Sekunde, ich hab’s gleich!“ mir zuwandte, sah ich ein großes weißes Pflaster an ihrer linken Wange; die Haut rundum war gerötet. Gleich darauf bemerkte ich noch etwas anderes, das ich ohne die Entstellung bestenfalls zur Kenntnis genommen hätte: Du bist neben ihr gestanden und hast ihre ganze Gestalt erleuchtet – am meisten ihr Gesicht.

Positive, meine Seele nährende Energie, wie ich sie lange nicht erleben durfte, erfüllte den Raum. Sie begann bei den strahlenden Augen der jungen Frau und ging in ein das ganze Leben umarmendes Lächeln über, als sie mich begrüßte und wir in aller Kürze das Geschäftliche erledigten. Ein Gefühl, als sei ich in diesem Moment der wichtigste Mensch für sie, ließ Erinnerungen an wertvollste Momente in meinem Leben auferstehen. Mit einem Mal war alles leicht, richtig und gut. Ausreden, verschämte Blicke, falsches Mitleid – nichts davon kam auch nur in die Nähe eines konkreten Gedankens.

„Was ist dir passiert?“, fragte ich deshalb ohne jede Angst, einen Fehler zu machen.

„Ein Abszess“, erwiderte sie leichthin; Freundlichkeit und Lebensliebe verminderten sich dabei um keinen Deut. „Aber eigentlich ist es der Ausdruck von etwas, das ich noch nicht annehmen kann.“

In diesem Augenblick hast du mir eine der wichtigsten Lektionen erteilt. Du bist nur in Menschen, die ohne jede Einschränkung ehrlich sind – zu anderen, aber vor allem zu sich selbst. Diese Ehrlichkeit braucht kein Versteck, auch keine Masken aus Stolz oder Arroganz. Durch dich konnte die junge Frau klar und ohne Scham auf einen Teil ihres Seins schauen, der noch Heilung nötig hat.

Für all das möchte ich dir danken. Ich freue mich schon sehr auf unsere nächste Begegnung.

Von ganzem Herzen, Der Kernölbotschafter

Feder

 

17. August 2018: Liebes Pärchen beim Spar!

Ihr zwei wart für mich ein derart aufregender Hingucker, dass ich euch einfach schreiben muss! Am 7. August schlurfte ich auf der Suche nach kurzfristiger Kalorienzufuhr durch die Gänge des rotgrünen Nahrungsmitteldealers in Anger. Die Fleischtheke bereits in Sichtweite und kurz davor, dem ungesündesten Tagesangebot – latscherte Semmel, heißer Leberkäse, scharfer Senf – zu verfallen, kreuztet ihr meinen Weg, irgendwo zwischen Knäckebrot und Fertigsugo.

Euer Foto steht im Lexikon neben dem Begriff Junges Pärchen beim Einkaufen 2018, keine Frage. Mit euren verspiegelten Sonnenbrillen, der perfekt zur Schau getragenen weiblichen Angefressenheit und des deutlich sichtbaren männlichen Unglücks, trotz ultracooler Schirmkappe zum bloßen Korbträger degradiert worden zu sein, könnte es keine besseren Prototypen dafür geben, wie der an sich banale Vorgang des Einkaufens heutzutage beziehungstechnisch abläuft.

Ich bin so frei und nenne euch bei passenden Vornamen. Deine Gedanken, Henrik, konnte ich  förmlich hören: Tu endlich weiter! Verständlich, denn jeder Typ würde kribbelig werden, müsste er dabei zusehen, wie seine angeblich bessere Hälfte jedes in den Einkaufswagen gelegte Stück in einem rosa Bändchen vom Typ Mein erstes Tagebuch abhakt. Ein heftiges Augenverdrehen ist wohl das Mindeste, dank der undurchsichtigen Gläser auch gut geschützt vor einem bissigen Kommentar.

Doch es half alles nichts. Sabrina, du hattest die Ruhe weg. Nach langem Hin- und Herdrehen diverser Packungen landete ein Leichtbrot im Wagerl, dann kam ein Häkchen ins Büchlein. Die Szene faszinierte mich dermaßen, dass ich meinen Heißhunger gänzlich vergaß. Und ich wurde sogar noch mit einer Steigerung belohnt: Offenbar unfähig, das Drama länger mitanzusehen, wandtest du, Henrik, dich mit Grausen ab und damit deine Vorderseite mir zu. Meine Augen weiteten sich vor ungläubigem Entsetzen, als ich die Beschriftung deines T-Shirts lesen musste.

Geilsten Arsch

Wo bist du angrennt, Henrik?! Ich hoffe sehr für dich, dass du Sabrina liebst, aber bei aller Liebe: Mit dem Teil in die Öffentlichkeit zu gehen, das hat echt was von Masochismus! Sie kann es dir zu Weihnachten, zum Geburtstag oder an eurem Jahrestag geschenkt haben; vielleicht hat Sabrina das unsägliche Stück auch als süßes Osterhaserl unter eurem Bett versteckt. Trotzdem hättest du nach dem Auspacken eindeutige Worte sprechen müssen: „SO ETWAS ZIEHE ICH NICHT AN!“

Ich will nicht moralisieren, aber der nachfolgende Tipp ist gratis und kann möglicherweise eure Beziehung retten: Geh so schnell wie möglich zur Typberatung und danach zu C&A, H&M oder zu irgendeinem anderen Gewandtandler, der momentan für deinen Geschmack angesagt ist. Dort investierst du die nächsten paar Lehrlingsentschädigungen oder Studienbeihilfen.

Falls deine holde Sabrina danach bei deinem Anblick auch ohne Gläserverspiegelung die Augen verdreht, räumst du am besten sofort ihren Kleiderschrank aus. Das schafft Platz für die nächsten passenden Stücke, die dein Leben und vor allem deinen Selbstwert pimpen werden. Versprochen!

Hoffnungsvolle Grüße, Der Kernölbotschafter

Feder

 

10. August 2018: Liebe Hera Lind!

Am vergangenen Samstag, dem 4. August 2018, haben Sie mit Ihrem Mann die Freiluftübertragung von Mozarts Zauberflöte auf dem Salzburger Kapitelplatz besucht. Ich weiß das, weil der Tisch meiner Wenigkeit direkt hinter Ihrem stand; gemeinsam mit meinen Eltern hatte ich deshalb beste Sicht – sowohl auf den Großbildschirm als auch auf Sie und Ihren charmanten Begleiter.

Mein Brief hat nichts mit der Aufführung zu tun. Diese würde ich am liebsten aus meinem Gedächtnis löschen wie eine jahrealte, nie beendete Geschichte von meinem PC. Doch leider hat sich die krude Fantasie der mental wohl fehlgeleiteten Regisseurin zu tief in mein Hirn gebrannt. Für diese Verhunzung meiner Lieblingsoper gehört sie mit dem nassen Fetzen nach Trumpistan zurückgejagt, da sind auch alle huldvoll in die Kamera gesülzten Bewunderungen von Barbara Rett vergebene Liebesmühe.

Schon nach wenigen Minuten hatte ich für die Inszenierung den passenden Namen gefunden: Rocky Horror Picture Show in der Zuckerlwerkstatt. Einziger Lichtblick war Emma Posmann, die junge Einspringerin als Königin der Nacht. Nach dieser famosen Leistung wird sie in ihrem Fach mit aller Berechtigung Karriere machen.

Trotz jenes visuellen Alptraums, der den Begriff Kunst ad absurdum führt, erlebte ich einen wunderbaren Abend – und der Grund dafür waren Sie, Frau Lind. Wie bei populären Opern üblich, muss, wer am Beginn der Übertragung einen der aufgestellten Sessel am Kapitelplatz be-sitzen will, etwa eine Stunde früher vor Ort sein. Naturgemäß schaffen das nicht alle Kulturliebhaber; sohin gehen viele der Überpünktlichen links und rechts der Reihen auf und ab, angestrengt nach einem irgendwo frei gebliebenen Plätzchen Ausschau haltend.

So auch eine alte, äußerst beleibte Dame im schwarzen Kleid, die noch dazu durch die Verwendung  zweier Krücken sehr in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt war. Die große Mühe stand ihr ins Gesicht geschrieben und war an ihrem Schnaufen bis zu unserem Platz zu hören. Mehrmals blieb sie stehen und drehte suchend den Kopf in alle möglichen Richtungen, wurde jedoch nicht fündig. Von den bereits sitzenden Zuschauern besaß niemand den Anstand, der betagten Frau den eigenen Stuhl anzubieten.

Ich kann nicht sagen, Frau Lind, ob es die Gefühllosigkeit dieser egoistisch-ignoranten Bagage war oder doch Ihr Mitgefühl für die arme Frau. Jedenfalls erwiesen Sie sich als spontan tatkräftig: Nach wenigen Sekunden hatten Sie im Restaurantbereich einen freien Polstersessel entdeckt, hoben diesen eigenhändig über zwei Tischreihen und brachten ihn der Frau in den mit Klappstühlen bestückten Zuschauerbereich. Leider konnte ich bei eurem kurzen Gespräch das Gesicht der alten Dame nicht sehen. Bestimmt war sie außerordentlich dankbar für Ihre Geste der Achtsamkeit. Später beobachtete ich immer wieder, wie sie regungslos die Vorstellung verfolgte.

Die Zauberflöte erklingt in den kleinen Momenten, Frau Lind. An diesem Abend waren Sie es, die ihr Spiel zum Leben erweckt hat. Dagegen hatte der grandiose Schwachsinn auf der Bühne des Großen Salzburger Festspielhauses nicht die geringste Chance.

Verzauberte Grüße, Der Kernölbotschafter

Feder

 

1. August 2018: Sehr geehrter Martin Winterkorn!

Das Leben kann aber schon garstig sein. 2011 waren Sie noch der am besten bezahlte Manager Deutschlands – 17,456.000,00 Euro Jahresgage muss man erst einmal ausgeben. Und keine vier Jahre später waren Sie der Buhmann für alle und mussten wegen der Diesel-Abgasaffäre von Ihren vielen Ämtern zurücktreten. Was Sie mit getürkten Dieseln bis dahin verdient haben, durften Sie meines Wissens aber behalten. Trotzdem, Shit happens.

In weiser Voraussicht hatten Sie schon vor Auffliegen des Skandals (man weiß ja nicht, was neidigen Richtern, proletarischen Staatsanwälten und vor allem den verrückten Amerikanern alles einfällt) Teile Ihres Vermögens an Ihre Frau übertragen. Diesen „Einem Nackerten kann man ja nichts ausziehen!“-Trick kennen wir auch aus Österreich zur Genüge. Beliebt bei allen Ex-Amtsträgern, die aufgrund irgendwelcher Schwindligkeiten in der Vergangenheit fürchten müssen, dass eines Tages naiv-blöde Gerechtigkeitsfanatiker auf ihren wohlbestallten Busch klopfen.

Und noch eine Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Den vielen Ex-Titeln könnte bei mangelndem Wohlverhalten mir nichts, dir nichts auch der Ex-Mann hinzugefügt werden. Das geht schnell: Wenn zum Beispiel die von VW bezahlte, 60.000,00 Euro teure Heizanlage für Ihren Koi-Karpfenteich ausfällt, die Fischlein mit dem Bauch nach oben im Wasser treiben und Ihre Gattin ob des Anblicks einen Nervenzusammenbruch erleidet, für den sie wiederum Ihnen die Schuld zuschiebt, stehen Sie schwuppdiwupp zum zweiten Mal vor dem Scheidungsrichter.

Also hatten Sie eine Idee, die jedem finanziell wenigstens halbgebildeten Menschen gut ansteht: die Rücklage eines Notgroschens. Bei manchen findet sich dieser in der Keksdose, bei den nächsten im Geheimfach oberhalb der Feuerstelle im Kamin, bei wieder anderen klassisch unter der Matratze. Ihnen kamen jedoch Zweifel, ob an solchen Orten die von Ihnen angedachten 10,000.000,00 Euro ausreichend Platz fänden; immerhin sind das 20.000 Fünfhunderter, die es noch dazu bald nicht mehr geben wird, also doch eher 50.000 Zweihunderter. Ein ganz schöner Berg; Donald Duck würde darin ein herrliches Bad nehmen.

Also doch lieber die Alternative für alle Alt-, Neu- und sonstigen Reichen: Das verlässliche und anonymisierte Konto in der Schweiz, wo man noch weiß, dass Diskretion für die gehobene Klientel alles ist, und zweifellos gut damit verdient. Über ein Treuhandkonto Ihres Steuerberaters – ganz persönlich wollten Sie dann doch nicht auf dem Beleg aufscheinen – sollen die zehn Mille letztendlich bei einer Züricher Bankdepot Ihrer Frau gelandet sein.

Blöd ist jetzt nur, dass Ihnen die Staatsanwaltschaft Braunschweig irgendwie auf die Schliche gekommen ist und Sie wegen Steuerhinterziehung drankriegen will. Rein rechtlich handelt es sich nämlich um eine Schenkung, für die – erraten! – die gleichnamige Steuer fällig gewesen wäre.

Doch Sie wären kaum der toughe „Ich habe von den Abgasmanipulationen ehrlich nichts gewusst!“-Manager, würden Sie Ihren bitter vom Mund abgesparten Notgroschen nicht mit Zähnen und Klauen verteidigen. Ihr findiger Anwalt will jetzt die Staatsanwaltschaft wegen Verrats von Dienstgeheimnissen verklagen, weil in der Bild, bekanntlich das Magen-und-Darm-Medium der deutschen Zeitungslandschaft, bereits von den Verdächtigungen gegen Sie zu lesen war.

Herr Winterkorn, Sie sind wie ein Dieb, den die Polente beim Klauen erwischt hat. Weil Ihnen und Ihrem Winkeladvokaten nichts anderes einfällt, wollen Sie nun den Leuten, die das von Rechts wegen überprüfen, die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Nach dem Motto: „Wenn niemand da wäre, der mir auf die Langfinger schaut, bräuchte ich gar nicht zu betrügen.“

Im Sinne der bei unseren Lieblingsnachbarn halbwegs funktionierenden Gerichtsbarkeit hoffe ich, dass Sie ein paar Milliönchen für Strafe und nachträgliche Schenkungssteuer abdrücken müssen, auch wenn dadurch ihr Notgroschen ein bisschen kleiner wird. Ich bin jedoch sicher, dass in Ihrer günstig angemieteten 400m²-Villa noch irgendwo ein paar Bündel Fünfhunderter herumliegen. Sie dürfen halt nicht darauf vergessen, diese vor Gültigkeitsablauf auf ein Schweizer Nummernkonto einzuzahlen. Oder auf das Ihrer Frau – was aber, wie oben bereits vermerkt, gefährlich sein kann.

Geldige Grüße, Der Kernölbotschafter

Feder

 

27. Juli 2018: Sehr geehrter Hermann Nitsch!

Mich hat ein Wink des Schicksals ereilt! Aus diesem Grunde wende ich mich an Sie, den größten und einzigartigsten Künstler auf Ihrem Gebiet.

Ich muss gestehen, dass ich bisher mit Ihren Arbeiten kaum in Berührung gekommen bin. Ihr beeindruckendes Antlitz, eine gelungene Mischung aus Almöhi und Rübezahl, taucht zwar regelmäßig in den gesellschaftsrelevanten Medien auf, doch zu mehr als ein paar Seitenblicke-Ausschnitten habe ich es leider noch nicht geschafft. Das wird sich jetzt entscheidend ändern, da mir gestern etwas Außerordentliches gelungen ist: mein erstes Schüttbild!

Apfelcreme Elefant

Beeindruckend, nicht wahr? Ich nenne es Büffel kurz vor dem Angriff, mit Exkrementen. Die Entstehungsgeschichte ist von derart ungewöhnlicher Zufälligkeit, dass die eingangs von mir erwähnte Vorsehung außer Frage steht.

Ich hatte den Hauptgang meines Mittagessens beendet und war gerade im Begriff, die Nachspeise, eine formidable Apfelcreme, in eine für den Verzehr geeignete Position vor mich zu ziehen. Plötzlich und ohne die geringste Vorwarnung kippte der Kelch in meine Richtung! Es ergoss sich ein Schwall Creme auf das rote Tischset. Nachdem ich mich von dem Schock erholt und darüber gefreut hatte, nicht auf meine graue Hose gekleckert zu haben, betrachtete ich das ockerfarbene Häufchen. Dieses wäre für sich schon ein Kunstwerk gewesen, das wohl unter dem Titel Beweis einer drohenden Durchfallerkrankung Furore gemacht hätte.

Da es mir jedoch zuwider ist, Lebensmittel zu verschwenden, habe ich das Häufchen mittels eines kleinen Löffels seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Und ich muss sagen: Es wäre wirklich zu schade gewesen, auch nur die kleinste Kleinigkeit der Apfelcreme zu vergeuden.

Mein nachhaltiges Tun verschaffte mir sodann ein noch viel größeres Wunder. Nach dem letzten Genussmoment sah ich auf etwas vor mir, das einfache Gemüter wohl nur ratlos zurücklässt. Mir jedoch fiel es wie Schuppen von den Augen! Der Absturz meiner Apfelcreme war gar keine Ungeschicklichkeit, sondern ein Augenblick höchster, innigst empfundener Kunst! Sie ist gleichsam aus mir durch den Glaskelch auf das Tischset geflossen. Und wie es eben ist, wenn alles fließt, war auch der Titel schon nach einer weiteren Sekunde klar. Der Büffel senkt angriffslustig sein edles Haupt, er entledigt sich noch schnell überflüssiger Verdauungsendprodukte und ist im Begriff, sich seinen allerschlimmsten Feinden im Kampfe zu stellen – siegreich oder bis in den Tod!

Sie werden die Qualität dieser Arbeit auf den ersten Blick erkennen, werter Herr Nitsch. Deshalb biete ich Ihnen das Schüttbild Büffel kurz vor dem Angriff, mit Exkrementen (Creme aus Frühäpfeln und Schlagobers auf rotem Stoff) zum Vorzugspreis von 100.000,-- Euro für Ihr weltberühmtes Museum in Mistelbach an. Ein Rechnungsbeleg ist nicht erforderlich; mir kam zu Ohren, dass Sie schon in der Vergangenheit nicht viel Aufhebens um eine doppelte Buchführung gemacht haben.

Sollten Sie mein Angebot aus unerfindlichen Gründen ausschlagen, biete ich das Bild, sobald die Creme konserviert ist, als Originalportrait des großen Indianerhäuptlings Raging Bull auf eBay an. Die Preise für derartige Exponate erleben unter Freunden von Donald Trump, die wie der US-Präsident viel Wert auf gedankenlos Herausgeschütteltes legen, einen ungeahnten Höhenflug. Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören, Herr Nitsch!

Künstlerische Grüße, Der Kernölbotschafter

Feder

 

25. Juli 2018: Sehr geehrter Wiener Krankenanstaltenverbund!

Hiermit bewerbe ich mich offiziell bei Ihnen als Bauzaunwärter. Zwar weiß ich weder, ob das ein anerkannter Ausbildungsberuf ist, noch wo die Bauzaunwärter-Akademie ihren Sitz hat, die man als Voraussetzung für die Stelle sicher besucht und abgeschlossen haben muss. Fest steht aber jedenfalls, dass Sie jemanden brauchen, der den Bauzaun um die Baustelle des noch immer im Bau befindlichen Krankenhauses Wien Nord bewacht.

Wieso ich das weiß? Aufgrund einer logischen Schlussfolgerung. Wenn Sie für die Wartung Ihres Bauzauns 839.000,-- Euro ausgeben und noch einmal 95.000,-- Euro, damit ein Energetiker einen Schutzring um die gesamte Baustelle samt Bauzaun zaubert, muss dieser Zaun ungeheuer wertvoll sein, ergo strengstens im Auge behalten werden.

Wobei: Richtet man sein Auge auf die aktuell veranschlagten Gesamtkosten für das Vorzeigeprojekt der Stadt Wien, ist diese doppelte Hochsicherheitsumzäunung geradezu ein Schnäppchen. Sie macht nicht einmal 6,22 % der eineinhalb Milliarden Euro aus, die das Schmuckkästchen am Ende kosten soll. Sohin hat der Wiener Altbürgermeister den letzten Anstieg bei den Schätzungen auch völlig richtig eingeschätzt: „400 Millionen? Das sind halt technische Probleme, nichts Ernstes.“

Apropos Technik: Das Areal dieser Goldgrube, mit der Sie, sehr geehrter KAV, sich zweifellos die Krösus-Krone aufsetzen werden, ist entsprechend weitläufig nicht wahr? Deshalb ersuche ich Sie, vor dem Einstellungsgespräch Ihr Anlagenverzeichnis zu durchforsten. Irgendwo wird sicher ein altes, aber noch funktionstüchtiges Golfcar herumstehen (vielleicht vom letzten Charity-Turnier für verarmte Ex-KAV-Funktionäre?), auf dem ich meine nächtlichen Runden um den Bauzaun ziehen kann. Als Dienstwaffe schlage ich mit flüssigem Valium gefüllte Spritzpistolen vor; klarerweise das Spitzenmodell in Gold, eine Sonderanfertigung der Firma Glock, zum Sonderpreis von 25.000,-- Euro pro Stück. Damit lege ich Bauzaunräubern, die nur auf den günstigsten Moment für einen großen Coup warten, im Handumdrehen das schändliche Handwerk.

Meine Gehaltsvorstellung orientiert sich selbstredend am Wert des zu bewachenden Objektes. Mehr als die Kosten für eine schnöde Glock sollte schon drin sein, also schlage ich schlanke 50.000,-- Euro netto vor, 16mal im Jahr, zuzüglich Nacht-, Wetter- und Golfcarwartugnszulage. In diesem Gehalt ist selbstverständlich die lückenlose Dokumentation über jede gefundene Zaunlücke enthalten.

Sollten Sie wider Erwarten dieses lukrative Angebot nicht annehmen, habe ich noch einen Alternativvorschlag: Ich montiere den Bauzaun ab, stelle ihn irgendwo im Wiener Umland auf eine Wiese und bewache dort alle Politiker, Funktionäre und sonstigen Verantwortlichen, die vom kürzlich zur Bürgernotwehr hochgerüsteten Bund der Steuerzahler dort eingesperrt werden. Und zwar so lange, bis auch der letzte von den Delinquenten kapiert hat, dass man fremdes Geld viel sorgsamer zu verwalten hat als eigenes. Die frei gewordenen Stellen könnten in der Zwischenzeit mit federführend am Bau beteiligten Personen des neuen Flughafens Berlin besetzt werden. Ich bin sicher, das steigert die Chancen auf eine baldige Eröffnung Ihrer protzigen Hütte beträchtlich!

In diesem Sinne hoffe ich, ein ausbau- sowie tragfähiges Angebot gelegt zu haben und sehe Ihrer Antwort mit großen Interesse entgegen.

Mit professionellen Grüßen, Der Kernölbotschafter

Feder

 

24. Juli 2018: Lieber Mesut Özil!

Was ist nur los mit deutschen Sportlern, wenn sie einen Hauch von Kritik verspüren? Vor knapp einem Monat musste der Kernölbotschafter den früheren Tennishelden Boris Becker rügen, weil er sich mit der schnöden Hilfe eines Diplomatenpasses der Zentralafrikanischen Republik vor einem britischen Insolvenzantrag drücken wollte. Und jetzt kommst du daher und drückst dich wie eine beleidigte Leberwurst vor den Folgen deiner eigenen Blödheiten.

Du hast ein begnadetes Füßchen, Mesut. Das beweist allein schon die Liste der Vereine, deren offensiven Mittelfeldrasen du als A-Spieler bislang beackert hast. Schalke 04, Werder Bremen, Real Madrid. Seit fünf Jahren kickst du bei Arsenal in London. By the way, bist du dort vielleicht einmal von Boris Becker um ein Packerl Tschick und ein großes Bier angeschnorrt worden? Falls ja, hast du ihm sicher ein paar Drinks ausgegeben, denn du hast es ja dick, wie ein Großer.

Vielleicht liegt gerade dort das Problem. Dein Konto ist immer gewachsen – und dein Verstand ist gleich geblieben. Oder sogar geschrumpft, angesichts der vielen Nullen vor dem Komma auf deinen Verträgen. Anders können es sich viele Normalos unter deinen Fans nämlich nicht erklären, warum du dein Gesicht neben dem türkischen Sultan in die Kameras hältst. Eine unbedachte Dummheit, wie gesagt. Die hätte es auch bleiben können, denn Medienfuzzis und Öffentlichkeit vergessen eh schnell. Gegen den Skandal von heute ist jener von gestern so interessant wie der Furz eines Eichhörnchens im Schwarzwald. Aber du konntest es nicht bei diesem einen Furz belassen.

Shit happens, ich versteh‘ das schon. Wenn einer wie du Pech beim Denken hat, kommt manchmal auch noch kein Glück dazu. Die WM in Russland war für Die Mannschaft, wie ihr euch selbst ein bisserl hochtrabend nennt, nicht wirklich eine Reise wert. Hättest du den Karren aus dem Dreck gezogen und deine Kollegen mit ein paar Geniestreichen noch ins Achtelfinale oder darüber hinaus geschossen, wäre niemand auf die Idee gekommen, über deine „Ich ehre das Land meiner Ahnen“-Verrücktheit auch nur nachzudenken.

Die Auszeit nach eurer ungeplant frühen Rückkehr aus Putins Zarenreich hättest du dazu nutzen können, in dich zu gehen und ein bisserl Fußballrasen über die Sache wachsen zu lassen. Ersteres hast du laut eigenen Angaben gemacht; herausgekommen ist jedoch weder die Einsicht, dass Schweigen goldiger ist als Twittern, noch die Erkenntnis, mit dem öffentlichkeitsgeilen Leiberltausch niemandem einen Gefallen getan zu haben außer dem türkischen Staatschef. Im Gegenteil: Du hast eine noch viel größere Blödheit draufgesetzt, die bereits jetzt die Wahl zum Eigentor des Jahres todsicher in der Tasche hat.

Der arme Mesut als Rassismus- und Medienopfer? Ich weiß nicht, von welcher Seite du für diese krude Verdrehung der Tatsachen Mitleid erwartest. Da lässt du dich grinsend mit einem der größten Menschenrechtsverletzer der Erdkugel fotografieren und jammerst hinterher, dass kritisch darüber berichtet wird. Du stilisierst dich als Opfer Deutschlands, wo du geboren und aufgewachsen bist und auch deine Ausbildung zum Fußballprofi, immerhin die Basis für deine spätere Weltkarriere, erhalten hast. Und du behauptest frech, das Foto mit Erdogan habe nur mit Sport zu tun, nicht mit Politik. Wenn du das wirklich glaubst, bist du noch dümmer, als deine Aktionen jetzt unter Beweis stellen. Oder du hast das unfähigste Management aller Zeiten.

Nochmal in Großbuchstaben für dich, zum Mitschreiben: EIN GEMEINSAMES FOTO MIT EINEM POLITIKER HAT IMMER MIT POLITIK ZU TUN! Deshalb hättest du dir vorher überlegen sollen, wem dieses hirnbefreite Shooting nützen und wem es schaden könnte. Deine Suderei aber nützt definitiv den Falschen und schadet allen Migrationshintergründigen. Vor allem, weil sich in den Köpfen ein Gedanke festsetzt, den rechte Parteien jetzt Ende nie trommeln werden: Wir haben immer schon gewusst, dass selbst in Deutschland geborene Ausländer nicht integrierbar sind!

Deine Begründung für den Rücktritt aus der Nationalelf ist die letzte einer ganzen Reihe von Schwalben, für die du einen Elfmeter schinden wolltest. Zum Glück hat dich der Videobeweis aufgedeckt: Deine weinerlichen „Ihr seid alle so gemein zu mir!“-Tiraden gegen den DFB und die deutschen Medien sind nichts anderes als der letzte Rundumschlag eines trotzigen Bubis, der es sich mit allen verscherzt hat. Dabei windest du dich verbal wie Neymar nach einem Foul und machst ihm die Goldene Zitrone für die mieseste schauspielerische Leistung streitig.

Schlechte Verlierer mag niemand, Mesut. Weder im Sport noch im Leben. Vielleicht verstehst du das jetzt noch nicht. Aber nun hast du ja viel mehr Zeit zum Nachdenken. Möge dieser Doppelpass mit dir selbst ein paar gute Ideen bringen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Entschuldigung?

Integrative Grüße, Der Kernölbotschafter

Feder

 

22. Juni 2018: Sehr geehrter Innenminister Kickl!

Es ist zum Wiehern! Gestern wurde bekannt, dass sich für Ihre Königsidee, in Wien eine berittene Polizeitruppe zu installieren, erst vier Pferde gemeldet haben. Dem Vernehmen nach hatten Sie felsenfest mit einem heftigen Angalopp auf die zu vergebenden zwölf Plätze gerechnet, um aus der riesigen Herde auf dem Heldenplatz nur die stolzesten, reinrassigsten, heißblütigsten Exemplare wählen zu können.

Die Parade glich alsdann nicht einmal, wie es Ihnen kurz vor Geburt der Idee im Traum erschienen war, den vier Musketieren. Eher hatten interessierte Zaungäste den Eindruck, hier würden die Bremer Stadtmusikanten, Abteilung Equidae, aufmarschieren. Da der vom BVT angeforderte Pferdeflüsterer Robert Redford nicht verfügbar war, wurde der Kernölbotschafter, bekannt für seine investigativen Fragestellungen, damit beauftragt, den Kandidaten aufs Gebiss zu fühlen. Nachstehend das Protokoll der durchgeführten Interviews.

 Frage: Warum haben Sie sich als Polizeipferd beworben?

Antwort Pferd 1: „Ich wollte immer in die Spanische Hofreitschule, aber dort haben sie mich wegen der falschen Parteifarbe nicht genommen. Keine Ahnung, warum die dort nur die Weißen reinlassen. Eleganz tänzeln und arrogant dreinschauen kann doch jedes gerade gewachsene Pferd!“

Antwort Pferd 2: „Die Arbeit als Zuchthengst ging mir auf die Dauer zu stark auf die Psyche. Sie haben keine Ahnung, Herr Botschafter, welche Kommentare man sich von den blöden Stuten anhören muss, wenn man es nicht auf Knopfdruck bringt!“

Antwort Pferd 3: „Weil es schon nach fünf Dienstjahren beste Aufstiegschancen gibt. Ich hörte, an der New Yorker Met suchen sie ständig neue Pferde als Statisten. Schon immer wollte ich mein schauspielerisches Talent beim Einzug der Soldaten in der Aida unter Beweis stellen. Triumphmarsch, ich komme!“

Frage: Wie werden Sie die Arbeit unter Ihrem Chef, Innenminister Herbert Kickl, anlegen?

Antwort Pferd 1: „Von oben herab, genau mein Stil.“

Antwort Pferd 2: „Ich habe länger auf dem Regierungsfoto suchen müssen. Als dann feststand, dass der Kleinste mein neuer Boss ist, war mir eine Sache klar: Am Schwierigsten wird sein, ihn wirkungsvoll am Kinn zu treffen, wenn er mir zu nah am Arsch vorbei geht.“

Antwort Pferd 3: „Meiner Doppelqualifikation wegen wird der Herr Innenminister mich zum Anführer der Truppe ernennen, da fährt der Huf drüber! Ich war bisher nicht nur der Zuchtstolz meines Besitzers, sondern habe stets die Truppe mit coolen Sprüchen auf die Stampede eingeschworen. Dieses Talent werde ich vom ersten Tag an einbringen. Kostprobe gefällig? Reiten statt Hetzen! Ein guter Polizeitag beginnt mit einer aufgelösten Demo! Nieder mit den Linkslinken – Rechts von mir darf kein Sattel frei sein!

Das vierte Pferd konnte von mir nicht befragt werden; es schied aufgrund seiner zu geringen Größe bereits bei der ersten Prüfung aus. Die Anweisung, das ansonsten makellose Tier von der Musterung direkt zur Abschiebung freizugeben, stammt jedoch nicht von mir, sondern Gerüchten zufolge aus dem von Ihnen geführten Innenministerium.

Sie wollen jetzt mit einer internationalen Werbekampagne Pferde aus Deutschland und Ungarn zur Bewerbung einladen? Verständlich: Mit beiden Staaten wiehern Sie im Gleichklang, also sollten genug Interessenten vorhanden sein.

Für Pferd Nummer 4 hätte ich indes eine Alternative zur Abschiebung. Es hat genau die richtige Größe für Sie und könnte schon beim nächsten Nationalfeiertag auf dem Heldenplatz seinen Dienst anzutreten. Ein standesgemäßes Stockerl als Aufstiegshilfe wird sich finden.

Einen knackigen Polizeigruß entbietet Der Kernölbotschafter

Feder

15. Juni 2018: Lieber Boris "Bumm Bumm" Becker!

Was für ein Befreiungsvolley! Ich liege vor dir wie du einst auf dem Heiligen Rasen von Wimbledon! Du entziehst dich der Strafverfolgung geschickter als so mancher sizilianischer Mafioso. Der muss dafür jahrzehntelang in einem Erdloch hocken und wird am Ende von den Carabinieri doch geschnappt. Wenn dir aber ein Land wegen deiner Schulden mittels Insolvenzantrag ans Bein pinkelt, schreist du erbost: „Diplomatische Immunität!“ Das berichtet der für seine weltbedeutenden Nachrichten weltbekannte Rotweißrot-Staatsfunk heute auf seiner Internetseite.

Als Erstes würde mich interessieren, welcher Winkeladvokat auf die Idee gekommen ist, dich von der Zentralafrikanischen Republik zum Sonderattache für Sport und kulturelle Angelegenheiten in der Europäischen Union ernennen zu lassen. Welche Aufgaben könntest du da wohl erledigen? Falls du Tenniscamps für zentralafrikanische Waisenkinder in deiner (wahrscheinlich schon bald gepfändeten) Villa organisierst, ist das aller Ehren wert. Ich befürchte jedoch, dass dein doch recht abrupter Wechsel vom Lebemann zum Diplomaten eher eigennützigen Interessen dient.

Du gibst es sogar selbst zu: Weil der Insolvenzantrag „sowohl ungerechtfertigt als auch ungerecht“ sei, machst du deine diplomatische Immunität geltend, um „diese Farce zu einem Ende zu bringen“ und anzufangen, dein „Leben wieder aufzubauen“. Jammern als Lebenseinstellung; das reicht für ein paar Schlagzeilen, wird dir am Ende aber – so hofft der Chronist als aufrechter Steuerzahler – die diplomatische Haut nicht retten.

Und ich befürchte, deine Chancen stehen schlecht. Weil der Insolvenzantrag aus Großbritannien kommt (hast du es in den Inn-Lokalen der Inner City von London zu oft krachen lassen?), wird sich Lady Prime Minister Theresa May auch deinen letzten Euro krallen, bis du alles zurückgezahlt hast. Nach dem Brexit werden die Untertanen der Queen nämlich Devisen nachrennen wie der Jagdhund den Enten am englischen Ufer des Ärmelkanals.

Lieber Boris, hier ein wohlgemeinter Rat: Es ist ehrenhafter, für eigene Fehler einzustehen und, falls nötig, sein letztes weißes Hemd zu geben, als sich feig (und undiplomatisch!) auf den Schwarzen Kontinent zu vertschüssen, noch dazu nur durch den Besitz eines druckfrischen Diplomatenpasses. Denn Hand aufs Herz: Wie oft bist du seit deiner Ernennung schon in der Zentralafrikanischen Republik gewesen?

Sportliche Grüße, Der Kernölbotschafter

Feder

 

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