"Mozart? Nie gehört!"

„Ach, Sie haben ein Buch geschrieben? Worüber?“

Je öfter mir diese Worte entgegenwehen, desto heftiger verspüre ich den Wunsch, meine Lieblingsantwort würde der Wahrheit entsprechen: Von meinem letzten Roman wurden mehr als hunderttausend Stück verkauft, und das Buch davor wird gerade mit Tom Cruise, Gwyneth Paltrow und Arnold Schwarzenegger (ein Kernöl-Bezug muss sein)in den Hauptrollen verfilmt.

Kaum ist dieser sekundenlange Tagtraum zu Ende, sage ich brav: „Es gibt zehn Bücher, darunter drei Romane, Satiren und Gedichtbände.“ Wenn ich es noch schaffe, meine Karte an den Mann oder die Frau zu bringen, folgt meist ein rhetorisch-höfliches „Ich schau‘ mir alles auf Ihrer Homepage an, ok?“ – und dann der Themenwechsel.

Episoden wie diese beweisen schon seit langem, welchen Bekanntheitsgrad meine Bücher haben. Positiv formuliert, sind sie der geheimste aller möglichen Geheimtipps. Trotzdem werde ich in wenigen Wochen bei Hinz und Kunz bekannt sein, Schriftsteller-Status hin oder her. Was heißt bekannt: Ich werde ein Weltstar sein!

Vor wenigen Tagen ging ich wie so oft durch die Salzburger Getreidegasse. Am Brennpunkt von Sommer-, Ferien- und Festspielzeit, am Kreuzungspunkt gewaltiger Horden von Italienern, Japanern, Russen und Amerikanern wurde der eigentlich kurze Weg vom Schatz-Durchhaus bis zur Fluchttreppe hinauf ins Café Mozart zu einem Hindernislauf. In dem Bemühen, die perfekten Urlaubserinnerungen der Salzburgbesucher nicht zu ruinieren, weil ich etwa durch das Foto vor Mozarts Geburtshaus latsche, duckte ich mich unter Kameras, wich Gruppen aus, die wie blind der erhobenen Fahne ihres Fremdenführers nachrannten und umrundete einen Marionettenspieler samt staunendem Publikum. Nicht anders verlief der Rückweg durch die Schmuckpassage, über den Universitätsplatz und entlang der Philharmonikergasse.

Eine neue Mode macht seit kurzem selbst die kreativsten Störvermeidungsverrenkungen zunichte: Fotografieren mit dem Selfie-Stick. Wegen dieser Ego-boost-Erfindung gerät der ahnungslose Spaziergänger plötzlich nicht mehr nur ungewollt auf ein Bild, wenn er sich im falschen Moment zwischen Fotofinger und Zielobjekt befindet, sondern auch hinter einer Person, die gerade auf ihre Teleskop-Fernbedienung drückt.

All diesen Fotos auszuweichen ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Also beschloss ich kurzerhand, mich nicht mehr zu ducken, zu verrenken und keine Haken mehr zu schlagen. Nur den Marionettenspieler werde ich auch weiterhin verschonen, wenn er eine gute Performance liefert.

Weil ich mindestens einmal wöchentlich in der Altstadt unterwegs bin, werde ich bis zum Ende dieses Festspielsommers auf zahllosen Handyfotos, Tabletfilmen und Digitalkameraspeichern verewigt sein. Wenn Sie also einen Bald-Mittvierziger durchs Bild huschen sehen, der zielstrebig auf das Café Glockenspiel zugeht, haben Sie eine bleibende Erinnerung von mir.

Und vielleicht fragt einmal Ihr Enkel beim Betrachten der alten Bilder: „Opa, wer ist dieser grüne Mann hinter dem Kernölbotschafter? Mozart? Nie gehört!“

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