So komm' ich nie ins OSC

Meine Profession als Schließanlagenfachverkäufer kombiniert auf geniale Weise die Tätigkeit eines Kummerkastenonkels für verlorene Schlüssel, des Vertrösters auf einen leider doch späteren Liefertermin und eines Schuldeneintreibers in der Art des frühen Rocky Balboa. Anstatt jedoch verzagte Damen wie ein Gentleman alter Schule persönlich zu beruhigen, aufgebrachten Händler am anderen Ende des Landes persönlich eine Zwischenlösung in Form einer Bauschließanlage vorbeizubringen oder säumigen Zahlern persönlich den kleinen Finger zu brechen, wie Rocky es getan hätte, erledige ich das heutzutage alles modern und bequem per Telefon.

Nun ja, modern – vielleicht; bequem – eindeutig nein. Besonders in der Urlaubszeit steigert sich die ohnehin schon hohe Anruferzahl bisweilen um das Doppelte. Während ich also versuche, eine Dame nach erfolgter Beruhigung abzuwimmeln, bevor sie mir ihre herzzerreißende Geschichte ein drittes Mal erzählt, warten zwei weitere Anrufer in der Leitung. Dazwischen höre ich das hässlich-vertraute Ping! der Mailbox und stelle fest, dass wieder drei neue Nachrichten eingegangen sind. Meist werde ich darin ultimativ zum Rückruf aufgefordert, weil „i net scho wieda mit eirer depperten Maschin reden wü“.

Interessanterweise beschränkt sich dieser hektische Arbeitsalltag auf den österreichischen Markt. Die beiden Kollegen Markus und Stefan vom Export nebenan werkeln ruhig und gelassen vor sich hin, führen hin und wieder kurze Gespräche mit Kunden oder Außendienstkollegen in Kroatien oder Bulgarien und blockieren dann und wann eine Lieferung, wenn die griechischen Banken wieder einmal kein Geld herausrücken.

Während einer unerwarteten, jedoch höchst willkommenen Telefonpause – vermutlich hatte irgendein Schaufelbagger die Hauptglasfaserleitung zwischen Salzburg und dem Rest des Landes durchtrennt – fiel mir auf, wie ruhig es im Nebenbüro war.

„Bei euch läutet nie das Telefon“, nutzte ich sogleich diese Chance zur Beschwerde. „Bei mir dagegen ununterbrochen.“

Markus, nie um eine Antwort verlegen, schickte postwendend eine Begründung durch die offene Verbindungstür: „Das kommt daher, weil wir nur zufriedene Kunden haben.“

Ich wollte etwas zurückschießen, doch das Telefon kam mir dazwischen; für die beiden Kollegen nur ein weiterer Beweis ihrer These. Somit war bald ein neuer Begriff geboren: Wer etwas auf sich hält, sitzt im Office of Satisfied Customers, kurz OSC.

„Und wie komme ich ins OSC?“, fragte ich wenig später vor Ort, um mir ein bisschen die Beine zu vertreten und das rechte Ohr abzukühlen. Das beständige Klingeln ignorierte ich – es gibt ohnehin eine Mailbox.

„Du musst einfach an deiner Kundenzufriedenheit arbeiten“, sagte Markus von oben herab, obwohl er saß und ich stand. Stefan nickte nur dazu, mit einem wissenden Lächeln.

Und ich mühte mich nach Kräften, dieses hehre Ziel zu erreichen. Ich wurde noch freundlicher, noch kompetenter, noch verständnisvoller. Die mannigfaltigen Beschwerdeanrufe wurden aber nicht weniger; das Gegenteil trat ein.

Vor einigen Tagen erlebten meine Ambitionen auf eine OSC-Mitgliedschaft einen schweren Dämpfer. Ein Kunde von mir hatte die Zahlungsfrist um zwei Monate überzogen und sich dann auch noch drei Prozent Skonto abgezogen. Buchhalterin Pia schickte deshalb eine Nachforderung; als sich auf dem Kundenkonto kein Eingang zeigte, schickte sie die fälligen Mahnungen hinterher.

Es war mein letztes Telefonat vor dem Wochenende. Erst stellte sich der Mann dumm („Ich hab’ eh bezahlt!“ – „Aber zu wenig!“), dann vertröstete er mich („Rufen’S am Nachmittag an, wenn die Frau da ist!“ – „Da bin ich nicht mehr da!“). Als ich ihm freundlich, aber bestimmt mitteilte, dass sein Konto bis zur Begleichung der offenen Summe gesperrt bleibe, blaffte er: „Leckt’s mi am Oasch!“

Noch bevor ich meinen Kollegen im Nebenbüro von dieser kleinen, aber feinen Episode berichtete, kannte ich schon ihren Kommentar dazu. Und der war für mich so bitter wie berechtigt.

„Es tut uns echt leid, Hannes. So kommst du nie ins OSC!“